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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Rücken an die Wand gelehnt, die Handflächen nach oben gekehrt.
    »O nein, o nein«, hörte Emily sich stöhnen. Sie streckte die Arme aus, und ihre Hände hinterließen lange Blutschlieren an der Tapete. »Nein, bitte nicht!«
    »Sie soll die Klappe halten!«
    Trotz ihrer Verwirrung wusste Emily, dass es Brad war. Sie hasste ihn. Warum war er nicht tot und lag blutüberströmt am Boden? Warum kamen Leute wie er immer ungeschoren davon?
    »Pssst, Em«, sagte Dean. »Alles wird gut.«
    Was für ein lächerlicher Satz. Emily musste unwillkürlich lachen. Nein, nichts würde wieder gut werden, das musste sogar ein Tablettenjunkie wie er einsehen. Ihr Gelächter kippte und wurde zu einem lauten Schluchzen.
    »Ich meine es ernst«, sagte Brad seelenruhig. »Entweder du bringst sie zum Schweigen, oder ich erledige das.«
    Emily fühlte, wie ihr die Tränen und Schluchzer im Hals stecken blieben. Sie standen nun am Auto. Es war kühl geworden. Der frische Wind fühlte sich angenehm auf der Haut an. Eine Kaltfront zog auf. Die Schwüle war verflogen, es roch nach Regen.
    »Bitte nicht weinen. Bitte, sei still.« Vorsichtig setzte Dean sie ab und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Da war er wieder, der Mann, den sie liebte und der versprochen hatte, auf sie aufzupassen. Er kam zu spät. »So sollte es nicht laufen.«
    Er klappte den Fahrersitz nach vorn, und Emily sank auf die Rückbank. Ihr Gesicht, ihre Haare und Hände waren blutverschmiert. Sie benutzte ihre Strickjacke, um das Blut abzuwischen. Sie erinnerte sich, wie sie das Kleidungsstück auf den Rücksitz geworfen hatte für den Fall, dass sie während der Schicht im Blue Hen fror. Was oft vorkam. Aber das war Ewigkeiten her, in einem Universum, in dem sie noch über Banalitäten wie eine drohende Erkältung nachgedacht hatte.
    Die beiden Männer stiegen ein, und Brad öffnete den Geldsack. Dean ließ die Stirn ans Lenkrad sinken. Sie hatte die Tränen in seinen Augen gesehen. Er holte tief Luft und seufzte. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Wäre Angelo nichts passiert, wäre alles nur halb so schlimm. Der liebe, dumme Angelo. Wäre sie doch nur mit Carol allein gewesen, dann hätten Brad und Dean sich unbemerkt hinein- und wieder hinausgeschlichen. Wenn Carol den Diebstahl bemerkt hätte, wären sie längst über alle Berge. So war es geplant gewesen.
    Daran wollte Emily unbedingt glauben. Sie stellte sich vor, sie hätte Brad und Dean hereingelassen und wäre an Carols Tisch zurückgekehrt. Und nach einer Weile hätte sie sich verabschiedet, als sei nichts geschehen. Sie hätte die Hintertür nicht wieder verriegelt, damit Carol keinen Verdacht schöpfte. Sie hätten Brad sein Geld gegeben, und er wäre verschwunden und hätte nie wieder von sich hören lassen. Dean hatte ihr versprochen, sich einen Job zu suchen. Alles wäre wieder so geworden wie am Anfang. Warum war es jetzt anders gekommen?
    »Da sind fünf Riesen drin, Mann«, rief Brad, »fünf Riesen!«
    Emily wusste nicht, ob Brad zufrieden oder enttäuscht war. Dean hatte von zehntausend gesprochen, sie von ein paar hundert. Sie hatten sich genau in der Mitte getroffen. Fünftausend war gar nichts. Davon konnte man sich weder ein Haus noch ein anständiges Auto kaufen, damit käme man nicht einmal für ein paar Monate über die Runden. Für einen Drogenabhängigen musste die Summe jedoch wie ein Lotteriegewinn erscheinen. Davon konnte man für eine ganze Weile high sein.
    »Nimm es«, sagte Emily, »nimm es und lass uns in Ruhe.«
    Brad drehte sich zu ihr um und verzog das Gesicht zu einer hässlichen Fratze.
    »Scheiße«, rief Dean und unterbrach Brad, bevor er etwas sagen oder tun konnte, »hört ihr das?«
    Ja, sie hörten es. Polizeisirenen, ganz leise. Emily war panisch und erleichtert zugleich. Vielleicht hatten Carol und Angelo überlebt und die Polizei gerufen.
    »Es muss irgendwo einen Alarm gegeben haben«, sagte Brad und warf Emily einen vorwurfsvollen Blick zu, so als wäre sie für die Planung und Durchführung der Horrortat verantwortlich gewesen. Sie wusste nicht, ob das Blue Hen eine Alarmanlage hatte. Falls ja, hatte Carol es den Angestellten nie gesagt. Die Sirenen wurden lauter.
    »Worauf wartest du noch, Arschloch?«, sagte Brad leise und drohend. »Fahr los.«
    Dean gehorchte. Als Emily sich umdrehte und das Blue Hen in der Nacht verschwinden sah, hatte sie Carols letzte Worte im Ohr.

DREIZEHN
    C aroline verlor bei jedem Spiel. Sie war die Kleinste, Ungeschickteste und

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