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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Ungeduldigste. Sie konnte nicht laufen, ohne hinzufallen. Sie konnte sich nicht verstecken, ohne zu kichern. Bei Brettspielen versuchte sie zu schummeln, und wenn sie erwischt wurde, bekam sie Wutanfälle. Sie war eine Petze. Gene war der Älteste, Caroline das Nesthäkchen. Birdie war das mittlere Kind.
    In Birdies Erinnerung hatten die Kinder sich nie gut verstanden. Gene war grob und herrisch, er blies sich auf, wollte älter wirken und wusste alles besser. Daran änderte sich auch nichts, als er erwachsen war. Caroline wurde von allen geliebt, dabei war sie eine echte Nervensäge, die Birdie jeden Spaß verdarb und die Unschuldige spielte. Was wurde sie verhätschelt, sie mit den Pausbäckchen und den goldenen Locken, den strahlend blauen Augen. Sogar schon als Kind hatte Birdie das abstoßend gefunden. Wie leicht die Leute sich von einem Engelsgesicht täuschen ließen.
    Auf der Insel spielten sie »Schloss«. Birdie wollte die Königin sein, Gene der König. Sie konnten sich nicht darauf einigen, gemeinsam zu herrschen; wenn Gene König war, musste Birdie seine Dienerin sein. Wenn Birdie Königin war, mimte Gene den ergebenen Ritter. Caroline wollte immer nur die kleine Prinzessin spielen, das ging in Ordnung. Sie lag in der Hängematte und flocht Blumen zu einer Prinzessinnenkrone, später schrieb sie Tagebuch. Das Spiel endete unweigerlich in einem Faustkampf zwischen Birdie und Gene, die von der Mutter oder dem Vater getrennt werden mussten.
    »Was ist bloß mit euch los? Warum könnt ihr euch nicht vertragen?« , fragte ihre Mutter genervt. »Wir haben euch dazu erzogen, einander zu lieben.«
    Das stimmte, selbst Birdie musste es zugeben. Lana und Jack waren freundliche, liebevolle Eltern. Sie bevorzugten keines der Kinder, waren immer gerecht – außer dass sie Caroline verhätschelten, weil sie das Baby war. Und das war nur fair, selbst in Birdies Augen, die Caroline dafür hasste. In Birdies Erinnerung stritten die Eltern nie, von einigen kurzen, nichtigen Wortgeplänkeln abgesehen. Einmal hatte ihre Mutter mit der Tür geknallt. Dennoch kam das nicht ansatzweise an die verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen heran, die Birdie mit Gene führte. Das Verhalten der Eltern hatte auf Birdie und Gene keinen Einfluss. Vermutlich stimmte zwischen ihnen die Chemie einfach nicht. Birdie hatte Gene nie leiden können. Sie gönnte es ihm nie, wenn er gewann, obgleich er älter, größer und ein Junge war.
    In einem schweren, in Leinen gebundenen Fotoalbum hatte ihre Mutter alle Kinderfotos gesammelt. In liebevoller Kleinarbeit hatte sie jedes einzelne Bild eingeklebt, und darunter standen handschriftliche Kommentare. Das ist wichtig, ihr sollt euch immer an eure Kindheit erinnern, aber zumindest Birdie verspürte nicht die geringste Lust dazu.
    Das vermeintliche Quietschen der Fliegentür hatte Birdie an das Album erinnert, und nun durchwühlte sie die Kisten in der Hütte. Bei stürmischem Wind, mit dem Revolver in der Tasche und einer Lampe in der Hand hatte sie den Weg vom Haupthaus zurückgelegt.
    Sie hatte trotz allem keine Angst. Sie weigerte sich, auf Heart Island Angst zu empfinden. Die Insel gehörte ihr allein. Sie öffnete die Holztür und machte das Licht an. In dem kaum benutzten, nicht gedämmten Schuppen war es kalt. Er war klein, aber gemütlich, ein Schreibtisch stand darin und zwei Stockbetten rechts und links am großen Fenster. Vor dem kleinen Kamin stand ein Kuschelsofa. Alle Möbel waren mit weißen Laken zugedeckt.
    Birdie beugte sich zum Funkgerät hinunter. Es war vollständig aufgeladen. Sie schaltete es ein, hörte ein Brausen und Zischen. Sie nahm das Mikro in die Hand und drückte den Knopf. Es konnte nicht schaden, das Gerät zu überprüfen, schon gar nicht bei diesem Wetter.
    »Hier Heart Island«, sagte sie, »Heart Island ruft die Blackbear-Polizeiwache. Test, Test.«
    Sie lauschte dem Rauschen und erinnerte sich daran, wie sie allen Familienmitgliedern die Bedienung des Gerätes erklärt hatte. Kate, Theo, Brendan, Chelsea, sogar Sean, der der Familie offenbar noch lange erhalten bleiben würde. Sebastian hatte sie nichts zeigen müssen; das Funkgerät war nur für den Notfall gedacht, und Sebastian stammte aus einer Seglerfamilie. Er hätte sich in jeder Situation zu helfen gewusst.
    »Heart Island, wir haben verstanden«, kam die krächzende Antwort, »für den Sturm gewappnet?«
    »Und ob«, sagte Birdie. »Danke. Heart Island out.«
    Dann machte Birdie sich auf die

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