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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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tatsächlich für ein paar Wochen zusammengerissen, weil sie sich an die guten Zeiten erinnerte? Oder war das ihre Art zu trauern? Vielleicht erfüllte ihre Wut einen reinigenden Zweck.
    »Warum willst du ihren Schmuck dann überhaupt haben?« Mehr fiel Kate nicht ein. Daraufhin legte Birdie auf.
    In der Kiste lagen unter anderem alte Briefe. Ihre Tante hatte in kleineren Zeitschriften Gedichte veröffentlicht. Vermutlich waren in der Kiste neben den Originalmanuskripten auch die Kindergeschichten, die Caroline sich für Kate und Theo ausgedacht hatte. Und wahrscheinlich ein paar Liebesbriefe (als junge Frau hatte Caroline zahlreiche leidenschaftliche Affären gepflegt, worüber Birdie sich ebenfalls maßlos aufregte), Grußkarten und Bilder, die Kate und Theo für die Tante gemalt hatten. Caroline bewahrte emotionale Erinnerungsstücke auf, die Birdie allesamt als Müll bezeichnet hätte.
    Kate wehrte sich gegen die Vorstellung, das komplexe Gefühlsleben der Tante könnte auf ein paar Blatt Papier in einer Kiste zusammengeschrumpft sein. Aus diesem Grund öffnete sie sie zunächst nicht. Kate sah sie jedes Mal, wenn sie den Aktenschrank öffnete. Die Kiste glich einer Aufforderung, einem Vorwurf, einer flehentlichen Bitte. Eines Nachmittags, als Kate allein zu Hause war, öffnete sie sie.
    Die Tagebücher lagen in einer kleineren Schachtel. Sie lag ganz unten, als habe Caroline sie unter den anderen Dokumenten verstecken wollen – Briefe, natürlich mit roten Samtbändern verschnürt, Notizbücher mit Gedichten, alte Fotos. Kates Taufkleidchen, eingeschlagen in weißes Papier, und Theos Babyschuhe. Auf die Schachtel hatte Caroline in ihrer schwungvollen Handschrift geschrieben: »Für Katherine Burke. Persönlich.«
    Kate wurde von Schuldgefühlen überwältigt. Die Angelegenheit schien dringend; Caroline hatte gewollt, dass sie die Schachtel fand, und doch hatte Kate sie jahrelang ignoriert. Aber selbst nachdem sie sie endlich in der Hand hielt, dauerte es Monate, bis sie den Deckel endlich abhob. Warum? Kate wusste keine Antwort, außer dass sie beim Anblick der Schachtel eine vage Furcht empfand.
    Kate konnte nicht ahnen, dass die Schachtel viele große und kleine Geheimnisse bereithielt. Während sie Carolines und Lanas Tagebücher las, sah sie ihre Mutter und ihre Familie in einem neuen Licht. Sie erfuhr Details aus der Ehe der Großeltern, von denen nicht einmal Birdie wusste. Und Lana beschrieb die Affäre mit Richard Cameron.
    Die in fleckiges Leinen gebundenen, mit ähnlicher Handschrift bis an den Seitenrand beschriebenen Tagebücher stießen vormals unbekannte Türen in Kates Wahrnehmung auf. Kate fand lang gesuchte Antworten, und gleichzeitig warfen die Tagebücher neue Fragen auf. An ihre Großeltern konnte Kate sich kaum erinnern, aber bei der Lektüre von Lanas Tagebüchern wurden sie wieder lebendig und zu greifbaren, komplexen, faszinierenden Gestalten. Caroline entwarf ein eindrückliches Bild ihrer Kindheit auf Heart Island, und Kate sah ihre Mutter Birdie mit anderen Augen. Als mittleres Kind war sie dazu verdammt, sich zwischen der kleinen, süßen Caroline und dem älteren, sportlichen, dominanten Goldjungen Gene aufzureiben. Nie zuvor hatte Kate sich klargemacht, dass ihre Mutter einmal ein kleines Mädchen gewesen war, das von den Umständen geprägt wurde.
    Obwohl die meisten Beteiligten längst gestorben waren, setzte sich ihre Lebensgeschichte in Kate fort. Und weil es ihre Geschichte war, meinte sie, das Recht – wenn nicht gar die Pflicht – zu haben, sie aufzuschreiben. Hatte Caroline von Kates brennendem heimlichen Wunsch zu schreiben gewusst und mit den Tagebüchern den Stein ins Rollen bringen wollen? Vermutlich.
    »Geht es dir besser, Mom?«, fragte Kate. Sie saß auf dem Sofa gegenüber vom großen Holzbett ihrer Eltern.
    John Cross hatten sie kaum abschütteln können; er wollte sie unbedingt nach Heart Island begleiten. Als Birdie wieder zu sich gekommen war, hatte sie sich unmissverständlich ausgedrückt. »Wir wären jetzt gern allein, Mr. Cross«, hatte sie gesagt, als er sie zum Boot bringen wollte. Sie hatten ihn mit leicht angesäuerter Miene auf dem Weg zum Anleger stehen lassen. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Kate. »Du brauchst dich nicht für mich zu entschuldigen«, hatte Birdie geflüstert.
    Birdie hatte die Augen geöffnet. Sie lag auf dem Rücken, hatte die Hände über dem Bauch gefaltet und starrte an die Zimmerdecke.
    »Es geht mir ausgezeichnet«, sagte

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