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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Sie wechselten einen Blick. Lulu warf vorsichtig einen Blick aus dem Fenster.
    »Ihr seht aus, als hättet ihr einen Geist gesehen«, witzelte Kate, aber die Mädchen lachten nicht. Kate schaute sich um; beim Hereinkommen hatte sie übersehen, dass die Mädchen bereits den Tisch gedeckt hatten. Der Braten stand abgedeckt auf dem Herd, der Salat auf dem Küchentresen. Kate war stolz auf die beiden.
    »Vielleicht doch«, flüsterte Chelsea. Sie warf einen besorgten Blick zu Birdies Tür hinüber. »Auf dem Anleger.«
    Chelsea erzählte, dass sie einen großen dünnen Mann auf dem Anleger gesehen hatte. Und plötzlich war er weg. Wie bei Birdie. Hielt sich ein Unbekannter auf der Insel auf? Schwer vorstellbar. Die Insel war klein, felsig und wenig einladend. Abgesehen von der Lichtung vor den Häusern und den beleuchteten Pfaden dazwischen gab es hier nichts als Gestrüpp, Bäume und Felsen. Man hätte nicht einmal ein Zelt aufschlagen können. Trotzdem: Zwei Personen hatten drei Mal an verschiedenen Stellen und zu verschiedenen Tageszeiten dasselbe gesehen.
    Lulu zitterte am ganzen Leib, vor Angst oder vor Kälte. Kate umarmte sie, und das Mädchen schmiegte sich an sie. Lulu fühlte sich unglaublich klein und zierlich an.
    »Okay«, sagte Kate, »es reicht. Ich rufe die Polizei.«
    Lulu schüttelte den Kopf.
    »Das geht nicht. Ich hatte nicht mal für eine Minute eine Netzverbindung. Und jetzt ist sie wieder weg.«
    »Wir benutzen das Funkgerät«, sagte Kate und ging zur Tür.
    »Mom«, sagte Chelsea und hob beide Hände. Auf einmal sah sie aus wie Sean. Vater und Tochter hatten etwas gegen unnötige Dramen. »Ich bin mir nicht mal sicher, was ich gesehen habe.«
    Normalerweise wäre Kate nie auf die Idee gekommen, die Polizei zu rufen. Aber nun schilderte sie den Mädchen im Flüsterton und mit einem wachsamen Blick in Richtung Schlafzimmer, was Birdie ihr erzählt hatte. Ihre Mutter wollte sicherlich nicht, dass sie die Mädchen einweihte. Beide rissen die Augen auf.
    »Hier ist niemand«, sagte Lulu. »Wir sitzen auf einem Felsen am Arsch der Welt. Ich habe nichts gesehen.« Ihre Stimme zitterte, und sie hielt den Blick gesenkt. Sie klang, als wollte sie sich selbst überzeugen.
    »Wir waren heute überall«, sagte Chelsea, »und wir haben nichts Ungewöhnliches bemerkt … bis jetzt.«
    Kate zog ihr Handy heraus, musste aber feststellen, dass Lulu Recht hatte. Sie spielte mit dem Gedanken, einen Rundgang mit der Taschenlampe zu machen, aber sie wollte die Mädchen nicht allein lassen. Sie kämpfte ihre Angst nieder, ging zur Haustür und verriegelte sie. Sie lehnte sich dagegen. Die Tür machte einen instabilen Eindruck, Türknauf und Schloss ebenso. Sie konnte sich nicht daran erinnern, auf der Insel jemals irgendeine Tür abgeschlossen zu haben, außer wenn sie wieder nach Hause fuhren. Sie hatte keine Notwendigkeit dafür gesehen.
    Chelsea lief um den langen Esstisch herum zur Hintertür und verriegelte sie. Beide Mädchen sahen Kate an, als warteten sie auf Anweisungen. Geister, ungebetene Besucher, eine senile Mutter – Kate wusste nicht, welche Möglichkeit die schlimmste wäre. Ich atme ein. Ich atme aus.
    Vielleicht traf nichts davon zu. Auf der Insel nahmen alle Ängste überproportionale Ausmaße an, und die ganze Welt wirkte düster. Die heftigen, unvermittelt aufziehenden Gewitter, die unbekannten Geräusche, das Spiel von Licht und Schatten sorgten dafür, dass man sich hier leicht ängstigte. Kate musste einen kühlen Kopf bewahren.
    Wie unter einer Lupe , hatte Caroline geschrieben. Dort wird alles auf das Wesentliche reduziert. Und der Anblick ist nicht immer schön.
    » Hört mal«, sagte Kate, »wir sollten jetzt essen. Und unsere Handys im Auge behalten. Sobald wir Empfang haben, rufen wir Hilfe.«
    »Okay«, sagte Chelsea. Sie wirkte wenig überzeugt, hatte aber keinen besseren Plan. »Ich meine, vielleicht habe ich mich ja geirrt.«
    »Genau«, sagte Kate, »könnte ja sein.«
    Birdie wollte nicht mitessen. Die drei setzten sich auf die überdachte, von Fliegengittern geschützte hintere Veranda. Die schwarzen, flüsternden Bäume hoben sich vom Nachthimmel ab. Noch bevor Kate das Eis servierte, hatte es zu regnen angefangen. Es klang, als führten unzählige Menschen auf dem Dach einen Tanz auf.

EINUNDZWANZIG
    E milys Mutter war eine Schönheit gewesen. In den sechziger Jahren hatte Martha nebenbei als Katalogmodel gearbeitet. Sie war so dünn wie Emily, aber groß und eine imposante

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