Gedrillt
Lieferung«, urteilte er.
»Will Stowe mich abschießen?«
»Irgend jemand will er abschießen«, sagte Dicky. Dicky sah aus dem Fenster, während er trank. Der Tiefdruckausläufer, der Berlin noch mit winterlichen Temperaturen zusetzte, war von England ostwärts gewandert. Hier hatte eine Reihe von Hochdruckgebieten für genügend Wärme gesorgt, die Knospen aus den Bäumen zu locken und die Straßen in trügerisch goldene Morgensonne zu tauchen. Es war ein falscher Sommer, einer von jenen Tagen, an denen man ohne Mantel aus dem Hause geht und mit einer Lungenentzündung zurückkommt.
Um zehn Uhr dreißig begab ich mich in den Raum des Deputy Europe. Ich erinnerte mich dieses Raums, als er nach Bret Rensselaers kostspieligem und etwas avantgardistischem Geschmack eingerichtet gewesen war – Chrom, Glas, schwarzes Leder und schwerer Teppich –, aber damit war es jetzt vorbei. Kahl war gar keine Bezeichnung für diesen Raum in seinem jetzigen Zustand. Es gab nicht mal Auslegware. Die Wände waren noch immer so grau-grün vorgestrichen wie gleich nach Brets Weggang. Wo einst ein erlesener Dürer gehangen hatte, sah man jetzt das Standardporträt der Königin. Stowes Schreibtisch war aus Metall, einer von denen, die unseren Schreibkräften zur Verfügung standen, und sein Stuhl war ein Exemplar des rückgratbrechenden Modells, das vom Ministerium für öffentliche Arbeiten eingesetzt wird, um Besucher davon abzuhalten, allzu lange im Empfangsraum unten herumzusitzen. Dicky Cruyer war schon da. Er hatte sein Jackett über die leuchtendroten Hosenträger gezogen, was ich als eine Gebärde der Unterwerfung deutete. Vielleicht hatte ihr Treffen schon früher angefangen. Dicky organisierte sich gern Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch, ehe man zur Tagesordnung kam. Er hockte auf einem Metallstuhl mit ungleichen Beinen, der jedesmal wackelte, wenn Dicky sein Gewicht verschob. Alle drei Besucherstühle in diesem Raum hatten den gleichen Defekt. Irgend jemanden habe ich sagen hören, daß der Deputy Controller die Stühle eigens so habe herrichten lassen, aber ich hielt es für unwahrscheinlich, daß Stowe auf so billige psychologische Tricks angewiesen war, es seinen Besuchern unbehaglich zu machen.
Augustus Stowe hatte glänzend schwarzes Haar. Wie es ihn mit einem üppigen Schnurrbart ausstattete, wuchs ihm dieses schwarze Haar auch aus den Ohren und Nasenlöchern. Es erschien in Büscheln auf seinen Wangen, und große Dickichte davon bedeckten die Rücken seiner Hände. Seltsam also, daß er so kahl war. Das sorgfältig gekämmte Haar und die langen Koteletten betonten nur die glänzende rosa Kuppel seines Kopfes.
»Sie brauchen gar nicht da rumzusitzen und sich den Arsch zu kratzen, Dicky. Irgendein Scheißkerl wird hinmüssen«, sagte Stowe mit der antipodischen Direktheit, mit der er sich im Department nicht viele Freunde gemacht hatte. »Sie können selbst gehen«, schlug er in einem Ton vor, der andeutete, daß das nur als letzte und verzweifelte Ausflucht in Frage kam. »Überlassen Sie es nur mir, Gus«, sagte Dicky. Obwohl es nicht seinem Stil entsprach, so etwas zur Sprache zu bringen, hatte ich das Gefühl, daß es Stowe nicht gefiel, »Gus« genannt zu werden. Ich fragte mich, ob Dicky das nicht merkte oder ob es eine absichtliche Provokation war. »Nein, Dicky«, sagte Stowe. »Wenn ich eine Sache Ihnen überlasse, habe ich sie sechs Wochen später wieder auf meinem Schreibtisch mit dem Vermerk Eilt sehr.«
Dicky preßte die Finger an seine dünnen, blutleeren Lippen, als unterdrückte er die Versuchung, einen so guten Scherz zu belächeln. »Bernard könnte fahren«, bot Dicky an. »Er könnte es deichseln.«
»Deichseln!« schimpfte Stowe in seinem klanglosen australischen Knurren. »Natürlich. Genau, was ich sage. Jeder Vollidiot könnte es deichseln.«
»Bernard kennt Wien«, sagte Dicky.
Das war keineswegs die Wahrheit, aber ich widersprach Dicky nicht, und er wußte, daß ich es nicht tun würde. Es gehörte sich einfach nicht, seinem Chef in Anwesenheit eines Vorgesetzten zu widersprechen. »Wirklich, Bernard?« fragte Stowe. Eine fette, alte Fliege brummte um seinen Kopf. Er verjagte sie mit einer ziemlich königlichen Gebärde. »Ich war da mit Harry Lime«, sagte ich.
Stowe bedachte mich mit einem kurzen geringschätzigen Lächeln. »Wien ist nur ein Teil der Sache.« Er war nicht leicht hinters Licht zu führen, obwohl jemand, der ihm zum erstenmal begegnete, das wohl nicht gleich gemerkt
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