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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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nicht in dem Grade, jedem Menschen in meiner Umgebung zu mißtrauen. Nur einigen. Als ich am nächsten Morgen ins Büro ging, schien da alles normal zu sein: zu normal. Als ich mir angesehen hatte, was auf meinem Schreibtisch lag, wurde ich nach oben zitiert. Dicky Cruyer, der Chef des Deutschland-Referats und mein unmittelbarer Vorgesetzter, war in einer seltsamen Stimmung, die ich fast als leutselig charakterisieren könnte. »Guten Morgen, Bernard!« sagte er und lächelte. Er war ein schlanker, knochiger Mann mit blasser Haut und wild gelocktem Haar, das er sich, wie ich vermutete, regelmäßig in Dauerwellen legen ließ.
    Während der paar Wochen rauhen Lebens in Berlin hatte ich mich mit der Vorstellung abgefunden, daß ich dieses Büro nie wiedersehen würde. Daß ich England nie wiedersehen würde. Also sah ich mich jetzt in Dickys Büro um und staunte es an, als sähe ich’s zum erstenmal. Von neuem betrachtete ich den prachtvollen Tisch aus Rosenholz, den Dicky anstatt eines Schreibtischs benützte, und die Fotos an der Wand dahinter, die größtenteils Dicky zeigten. Ich musterte den mit weichem schwarzem Leder bezogenen Eames-Stuhl, die dazu passende Fußbank und das leicht räudige Löwenfell am Boden, das er, wie ich bemerkte, an eine weniger auffällige Stelle verschoben hatte. All das sah ich mir mit Staunen an.
    »Ich hoffe, du bist aufgelegt zu harter Arbeit«, sagte Dicky. »Jetzt, wo dein Urlaub vorbei ist, gibt es eine Menge zu tun.« Er lehnte sich vor, die Ellbogen auf dem Tisch mit sich berührenden Fingerspitzen. Er war in Hemdsärmeln mit leuchtendroten Hosenträgern und trug eine geblümte Fliege. Der Deputy hatte an Dickys Jeans und Lederklamotten Anstoß genommen, und jetzt trug Dicky im Dienst Anzüge. Doch die schreienden Farben der neuerworbenen Krawatten und die leuchtenden Hosenträger waren eine subtile Unterwanderung dieser amtlichen Beschränkung.
    Ich sah ihn an. »Ja, durchaus.« Er lächelte. Glaubte er wirklich, ich hätte Urlaub gemacht? Von seinem warmen, entspannten, freundlichen Lächeln konnte ich nichts ablesen. Doch verrieten die rasch aufeinanderfolgenden Stakkatoschläge, mit denen er seine Fingerspitzen aneinanderstieß, mir durchaus seine unterdrückte Nervosität.
    »Der Deputy Controller Europe hat für zehn Uhr dreißig ein Palaver angesetzt. Du solltest vielleicht auch dabeisein. Mach dir Notizen.«
    »Worüber?« Der Deputy Controller Europe war ein Australier namens Augustus Stowe. Dicky wußte seinen Neid auf Stowe nur unvollkommen zu verbergen und nannte ihn gewöhnlich bei seinem vollen Titel in einem sarkastischen Ton, der zu verstehen gab, daß natürlich die Fähigkeiten des Mannes der Stellung, die er innehatte, gänzlich unangemessen waren. Diese Einstellung zu Stowe, die sich auch in geflüsterten Zweifeln an dessen Eignung äußerte, teilten einige von Dickys näheren Vertrauten. Stowe war ein Wunderkind gewesen und hatte dann an der Universität von Perth Logik gelehrt, weshalb er jetzt von manchen auch stets »Doktor« Stowe genannt wurde, so als sei ein Mann mit einem akademischen Grad selbstverständlich zu weltfremd für das Department.
    »Es liegen eine Reihe von Sachen an«, sagte Dicky unbestimmt. Auf diese Weise pflegte er einzuräumen, daß er von der fraglichen Sache keine Ahnung hatte. Ich vermutete, daß Dicky Angst vor Stowe hatte, der sehr ungemütlich werden konnte, wenn irgendwelche Schlampereien ans Licht kamen, weshalb Dickys Treffen mit ihm nicht immer sehr behaglich für ihn waren. »Kaffee?« – »Ja, bitte.« Woran immer es Dicky fehlen mochte, ein Überlebenskünstler war er jedenfalls, und an gutem Kaffee fehlte es ihm nie. Chagga aus dem neuen Laden von Mr. Higgins in der Duke Street. Dicky ließ ihn sich dort von Motorradkurieren holen. Eines Tages würde jemand wissen wollen, welche dringenden geheimen Meldungen in aromatisch duftenden braunen Päckchen zwei- bis dreimal wöchentlich von Mr. Higgins kamen.
    »Fabelhaft!« sagte Dicky, als seine Sekretärin auf einem polierten hölzernen Tablett die dampfende Glaskanne, das Spode-Porzellan und das Sahnekännchen brachte. Die Tassen enthielten heißes Wasser. Dicky sagte, vorgewärmte Tassen seien für die völlige Entfaltung des Aromas unerläßlich. Er schüttete das heiße Wasser in eine Schale und goß sich selbst zuerst Kaffee ein. Beim Schmecken runzelte er mit halbgeschlossenen Augen die Brauen und hielt die Kanne in der Schwebe. »Sogar noch besser als die letzte

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