Gedrillt
Weshalb sollte ich da nicht empfinden, daß mir schweres Unrecht angetan worden war?
Ein Wecker klingelte. Ohne Aufhebens führte uns Gloria ins Eßzimmer, wo der Tisch mit unserem besten Porzellan und Glas gedeckt war. Als das Essen serviert wurde, war es köstlich. »Kann man nicht zu allen Gängen Champagner trinken?«
»Kann ein Fisch schwimmen?« Noch eine Flasche Bollinger und ein Risotto mit Steinpilzen. Danach gab es gebackenen Hummer. Dann einen weichen Brie mit französischem Baguette. Und zum Nachtisch riesige Bratäpfel mit Honig und Rosinen. Dazu gab es einen großen Krug leckerer Eiercreme. Das war ein krönender Abschluß für ein wunderbares Mahl. Sally suchte jede Rosine einzeln heraus und legte sie um den Rand ihres Tellers, aber das tat Sally immer. Billy zählte die Rosinen ab: »Bauer, Bürger, Edelmann …« und ermittelte, daß Sally einen Bettelmann heiraten würde. Sally meinte, dieser Abzählvers sei ihr von jeher verhaßt gewesen, und Gloria – die Optimistin, Feministin und Mathematikerin – lehnte ihn grundsätzlich ab, weil er den Mädchen eine zu geringe Auswahl an Partnern präsentierte. Die Kinder lebten beide in dem Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsensein. Billy widmete sich Autos und einer schönen Handschrift. Sally war für die Rolle der Portia in Julius Caesar ausgewählt worden und trug uns ihre Lieblingsszene vor. Ihr Teddybär spielte Brutus.
»Ist’s im Vertrag der Ehe, sag mir, Brutus, Bedungen, kein Geheimnis sollt ich wissen, Das Euch gehört?«
Die eheliche Prophezeiung verwerfend, erklärten wir den Abend übereinstimmend zu einem denkwürdigen Familienereignis.
»Die Kinder sind jetzt alt genug, Freude an gemeinsamen Familienfeiern zu haben«, sagte Gloria, nachdem sie zu Bett gebracht worden waren. Sie stand vor dem Kamin und blickte in die Glut des heruntergebrannten Feuers.
»Ich werde diesen Abend nie vergessen«, sagte ich. »Niemals.« Sie wandte sich um. »Ich liebe dich, Bernard«, sagte Gloria, als hätte sie es noch nie zuvor gesagt. »Nun, ehe ich mich hinsetze, willst du noch was zu trinken oder sonstwas?«
»Und ich liebe dich, Gloria«, erwiderte ich. Allzulange hatte ich mich gesträubt, meine Gefühle auszusprechen, weil ich noch immer so etwas wie Schuld empfand wegen des Altersunterschieds zwischen uns, aber meine Zeit fern von ihr hatte da etwas verändert. Jetzt war ich glücklich, ihr zu sagen, was ich fühlte. »Du bist wunderbar«, sagte ich, nahm ihre Hand und zog sie neben mich auf das Sofa. »Du tust Wunder für uns alle. Ich sollte dich fragen, was ich für dich tun kann.« Ihr Gesicht war sehr nahe. Sie sah traurig aus, als sie nun eine Hand auf meine Wange legte, als berührte sie eine Statue, eine kostbare Statue, aber trotzdem eine Statue. Sie schaute mir in die Augen, als sähe sie mich zum erstenmal, und sagte: »Manchmal, Bernard, wünschte ich, du sagtest mir, daß du mich liebst, ohne daß ich es zuerst zu dir sage.«
»Es tut mir leid, Liebling. Haben die Kinder dir für das wunderbare Essen gedankt?«
»Ja, die Kinder sind sehr lieb, Bernard.«
»Du bist zu uns allen gut«, sagte ich.
»Das Essen habe ich von Alonso kommen lassen«, gestand sie mit der Kleinmädchenstimme, die sie manchmal annahm. »Außer den Bratäpfeln. Die Äpfel habe ich selbst gemacht. Und die Eiercreme.«
»Die Bratäpfel waren das Beste an dem ganzen Willkommensmahl.«
»Ich hoffe, das Beste vom ganzen Willkommensmahl kommt noch«, sagte sie schelmisch.
»Na, mal sehen«, sagte ich. Sie knipste das Licht aus. Es war Vollmond, und der ganze hintere Garten war in das scheußliche Blau getaucht, das ihn aussehen ließ wie ein Bild im Fernsehen. Ich hasse Mondschein.
»Was ist?«
»Es ist schön, daheim zu sein«, antwortete ich und starrte in den häßlichen kleinen Garten. Sie kam von hinten und legte den Arm um mich.
»Geh nicht wieder weg«, bat sie. »Nie wieder. Versprichst du’s?«
»Ich verspreche es.« Dies war nicht der Augenblick, von der kleinen Spritztour nach Wien zu sprechen, die Dicky und Stowe für mich organisiert hatten. Sie hätte vielleicht gedacht, daß ich mich darauf freute, während ich tatsächlich eine begründete Angst davor hatte. Wien war keine große Stadt, war es nie gewesen. Eine kleine Provinzstadt, wo engstirnige Bauern anstatt auf den Schweinemarkt in die Oper gehen, um böswilligen Klatsch auszutauschen. Jedenfalls war das mein Eindruck. In der Vergangenheit hatte ich in Wien immer Pech gehabt.
7
Ich erinnere
Weitere Kostenlose Bücher