Gedrillt
aber das Gesicht war mir noch immer völlig fremd.
»Sagen Sie, in welcher Branche ist wohl dieser Typ? Jedenfalls nicht im Briefmarkengeschäft. In Frankfurt ist er mir schon häufig über den Weg gelaufen, anderswo auch, aber ich habe nie rausgekriegt, was der eigentlich arbeitet.«
»Er arbeitet für das State Department«, sagte ich. »Das ist aber auch schon alles, was ich über ihn weiß.«
»Gestern hat er sich mich vorgeknöpft. Richtig zutraulich und freundlich, aber er wollte mich nur aushorchen über Zeppelin-Post. Dabei hat er keinen blassen Schimmer von Luftpost. Er erwartete, daß ich ihm den Katalog erklärte. Ich habe ihm geraten, sich ein gutes Buch über das Thema zu besorgen. Ich habe keine Lust, Leute wie ihn zu unterrichten. Er ist nicht mein Fall. Sie wissen, was ich meine?«
»Wie hat er’s denn aufgenommen?«
»Aufgenommen? Er hat die Sache fallenlassen und das Thema gewechselt. Er ist kein Freund von mir. Auf keine Weise. Ich bin ihm nur ab und zu begegnet, als ich noch Public Relations gemacht habe. Frankfurt. Da traf ich ihn bei diesen kleinen Partys, die die Unternehmer für gewisse Besucher geben, niedliche Häppchen am Stiel und wäßrige Martinis. Sie kennen das. Ich dachte mir schon, daß er beim Staat ist. Washington steht ihm doch regelrecht ins Gesicht geschrieben
– stimmt’s? Aber ich dachte, er wäre vielleicht irgendein Zivilist aus der Militärverwaltung.«
»Nein«, sagte ich, »State Department.«
»Ich gehe diesen Typen aus dem Weg. Mit denen kriegt man immer Ärger, und wer braucht den?« Die Schlange bewegte sich, bis wir an der Spitze standen. Ein leises Summen ertönte, und der Sicherheitsmann winkte uns, einzutreten. Im Büro des Kassierers war nicht viel Platz. Ein trübseliger Angestellter schaute durch ein kleines Metallgitter. Ein Mädchen stand hinter ihm mit einem Tisch, auf dem sich philatelistische Umschläge und Karten in Plastikhüllen stapelten, und einer Kassentruhe voller Schecks und Geldscheine aller Währungen. »Johnson ist der Name. Johnson, Bartholomew H.«, sagte mein Gefährte. »Nummer 584. Sechstausend Schilling. Ich habe ein Konto bei Ihnen.« Der Raum hatte einen unvertrauten Geruch, irgendwie nach Weihrauch. Vielleicht war es das Rasierwasser des Angestellten. Oder das Geld.
Der Mann hinter dem Gitter blätterte in seinem Buch. »Welche Nummer?« fragte er.
»Nummer 584.« Johnson hatte jetzt ein dickes Bündel österreichischer Banknoten in der Hand. Er ließ die gestapelten Scheine durch die Finger laufen. Es schien, als liebten alle diese Briefmarkenhändler Bargeld.
»Da muß ein Irrtum sein«, sagte der Mann hinter dem Gitter. »Johnson, Bartholomew H. Ich habe ein Konto. Sechstausend Schilling. Wenn Sie Bargeld wollen, habe ich’s hier.« Er wedelte mit dem Bündel Scheine und sagte: »Zehntausend Schilling werde ich nicht mehr ausgeben, ehe ich heute nachmittag fliege.« Der Angestellte sagte: »Der Artikel Nummer 584 ist für sechstausendzweihundert Schilling verkauft worden. Telefonisches Gebot.«
»No, Sir!« sagte Johnson. »Den Zuschlag habe ich gekriegt.«
»Sie müssen sich geirrt haben«, sagte der Mann hinter dem Gitter.
»Sie haben sich geirrt, Kumpel. Geben Sie mir jetzt endlich den Umschlag.«
»Tut mir leid.«
»Ich bestehe darauf. Er gehört mir! Geben Sie ihn sofort her!« Er war wütend.
»Ich bedaure, aber er ist gar nicht mehr hier. Wurde mit einer Menge anderer Sachen weggeschickt. An einen sehr bekannten Kunden.«
»Und was bin ich?« sagte Johnson zornig.
»Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen«, sagte er. »Aber leider kann ich Ihnen nicht helfen, und es warten noch viele andere Kunden draußen.«
»Was sagen Sie dazu?« Er schrie so laut, daß der Sicherheitsmann hereinsah, aber schon ließ die Kraft seiner Empörung nach.
»Machen wir, daß wir hier wegkommen«, sagte ich. Eine Grundregel der Leute, für die ich tätig bin, ist es, niemals mit dem Gesetz in Berührung zu kommen.
»Sie werden noch von mir hören!« sagte Johnson zu dem Mann hinter dem Gitter.
»Es tut mir aufrichtig leid, mein Herr.«
Als wir wieder auf den Korridor hinauskamen, starrten uns die Leute, die Johnson schreien gehört hatten, neugierig an. Er strich sich befangen über die Vorderseite seines Anzugs und sagte: »Kommen Sie, darauf trinken wir einen.«
»Gute Idee.«
Er brauchte mehrere Minuten, seine Fassung wiederzugewinnen. Er schien wirklich ganz durcheinander zu sein. Wenn das gespielt war, hatte er einen Oscar dafür
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