Gedrillt
noch immer hatte sie diese atemlose Art zu sprechen, die einen glauben machte, daß sie’s nicht hatte erwarten können, einen wiederzusehen. »Ich dachte schon, sie hätten dich vielleicht auf den verdammten Mond geschickt, Schätzchen«, sagte sie und gab mir einen uncharakteristisch scheuen Kuß. »Du hast mir gefehlt, Liebling.«
Ich muß zugeben, daß ich erschauerte, als sie mich küßte. Es war mir bisher nie aufgefallen, wie ähnlich sie Fiona sehen konnte. Heute abend besonders. Vielleicht war das nur ein Zufall ihrer Kleidung oder ihres Make-up. Vielleicht hatte es was damit zu tun, daß sie älter geworden war oder daß Fiona älter geworden war oder ich. Was immer es war, ich starrte sie deswegen einen Augenblick lang sprachlos an, bis sie sagte: »Scheiße! Ist mein Lippenstift verschmiert oder was?«
»Nein, Tessa. Du siehst schöner aus denn je, einfach umwerfend.«
»Na, wenn du das sagst, kann ich mir ja was darauf einbilden, Bernard. Wir Mädchen wissen doch alle, daß von Bernard Samson bemerkt zu werden die höchste Auszeichnung ist, die es gibt.«
Der alte Bursche – »Jenkins« hörte ich Daphne ihn rufen – kam mit einem silbernen Tablett voller Champagner vorbei. Gemächlich wählte Tessa sich ein Glas und hielt es ans Licht, als wollte sie einen stillen Trinkspruch andeuten, aber ich wußte, daß sie durch die Farbe und die Perlen den Champagner zu klassifizieren versuchte. Das war eins ihrer Partykunststücke. Ihre Meisterschaft darin muß George ein Vermögen gekostet haben.
Nachdem sie gebilligt hatte, was sie sah, doch ohne es zu benennen, trank sie etwas davon. »Hast du je einen so lieben Butler gesehen?« fragte Tessa, als Jenkins weiterging. »Wie nett von Daphne, so einen armen alten Rentner ein bißchen dazuverdienen zu lassen.«
Ich überlegte, wie ich Tessa dazu überreden sollte, Fionas Pelzmantel zurückzugeben. Was für einen Vorwand sollte ich benutzen? Und wo sollte ich das verdammte Ding hinpacken, ohne mich auf eine lange Diskussion mit Gloria einlassen zu müssen? »Ich dachte gerade an Fionas Pelzmantel«, fing ich an.
»Ach ja, Liebling. Schieß los.«
»Ich dachte, vielleicht sollte ich ihn zu ihren anderen Sachen packen.«
»Was für andere Sachen?« Sie warf das Haar aus dem Gesicht.
»Ein paar Kleinigkeiten, an denen Fiona besonders hing.«
»Es ist ein sehr schönes Stück Pelz. Papa hat eine Unsumme dafür bezahlt.«
»Ja, es muß eine ziemliche Verantwortung für dich sein.«
»Ich trage das Ding aber nicht, Schätzchen, wenn du dir deswegen Sorgen machst.«
»Nein, gewiß nicht, Tessa, und es ist sehr nett von dir, daß du das verdammte Ding die ganze Zeit gehütet hast. Ich dachte nur …«
»Mir macht das gar nichts, Liebling. Er hängt bei meinen eigenen Pelzen, und wenn der Sommer kommt, wenn er jemals kommt, werden sie alle miteinander zur Kaltlagerung beim Kürschner geschickt, wie sich das gehört.«
»Na ja, sieh mal, Tessa …«, begann ich. Sie neigte den Kopf, als erwarte sie gespannt, was ich zu sagen hätte, ließ dabei aber ihr Haar nach vorn fallen, so daß sie sich dahinter verstecken konnte. In diesem Augenblick unterbrach uns ein alter Bekannter von mir. Der Feine Harry, ein CIAFriedensstifter aus Washington. Ein kleiner, untersetzter Mann von unbestimmt orientalischer Erscheinung, war er von jener hawaiisch-kaukasisch gemischten Abstammung, die man da, wo er herkam, »hapa haoli« nennt. Er war Mitte Dreißig, stets sorgfältig gekleidet und von gefälliger Erscheinung. Man hätte sich ihn, entsprechend kostümiert, leicht als Bariton in Madame Butterfly oder, vielleicht noch überzeugender, in South Pacific vorstellen können.
»Und wer ist die prachtvolle Dame, mit der du dich unterhältst?« sagte Harry.
Tessa schob einen Arm unter seinen und sagte: »Hast du mich schon vergessen, Harry? Ich bin tödlich beleidigt.« Der Feine Harry lächelte, und ehe er noch mit einer Erklärung anfangen konnte, verkündete die tönende Stimme des alten Jenkins: »Ladies und Gentlemen. Es wird zu Tisch gebeten.« Ich begegnete Tessas Blick, und sie lächelte hämisch.
Tessas Mann unterhielt sich mit Gloria. Er war um die Vierzig. Als Sohn armer polnischer Einwanderer im Londoner East End geboren, war er im Autohandel und, später, als Immobilienmakler reich geworden. Ich hatte den Eindruck, daß George sich immer den teuersten Schneidern, Hemdenmachern, Herrenausstattern und Friseuren, die er auftreiben konnte, anvertraute. So sah man ihn in immer neuen,
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