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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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und von dort aus Dickys Bemühungen begutachten sah. »Das ist kein Zuchtlachs«, sagte Daphne. »Der ist wild.«
»Wäre ich auch, Liebste«, sagte Tessa, sich ihr wieder zuwendend.
Daphne zeigte ihr ein frostiges Lächeln. Tessa war angeblich vor ein paar Jahren in eine heiße Affäre mit Dicky verwickelt gewesen, und Daphne hatte dies nicht vergessen. »Jenkins«, flötete Daphne in Kindergärtnerinnenstimme, »würden Sie bitte den Wein einschenken!« Und weil Daphne so viele Jahre damit zugebracht hatte, Dicky zu überwachen, konnte sie eben noch rechtzeitig hinzufügen: »Nicht den Chambertin, Jenkins, den weißen Hermitage.« Und dabei geriet ihre Stimme schon ein wenig außer Kontrolle.
Wie Dicky später sagte, verbarg die wunderbare Beurreblanc-Soße die kaputten Fischstücke vollkommen. Aber nach Tessas erklärter Meinung war es, als äße man in Watte gewickelte Stopfnadeln. Tessa war eine von den Damen, die nicht gerne Gräten in ihrem Fisch finden. Und doch ließen sich viele eine zweite Portion reichen.
Überdies folgte als nächster Gang in Rotwein geschmorter Hase. Dieser wurde portioniert auf den Tellern serviert. Die kleine alte Dame in der Küche tat Wunder. Dann gab’s noch Rhabarberkuchen und danach einen riesigen Stilton-Käse mit altem Portwein.
Vollkommen erholt von seinem Kampf mit dem Lachs, war Dicky auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit, das heißt aufmerksam und charmant. Dickys Erfolg bei allen seinen Unternehmungen leuchtete mir nie besser ein als an diesem Abend. Er erzählte Witze – gute Witze – und lachte über die Geschichten seiner Gäste. Er sorgte dafür, daß jeder und jede erhielt, was sie wünschten, von den Aperitifs zu den Zigarren, und war herzlich sogar zu Daphne.
George und Sir Giles saßen Daphne zu Seiten, mir fiel aber auf, daß Tessa weit von Dicky plaziert worden war. Vermutlich hatte Daphne die Tischordnung gemacht. Die Tischkarten waren in ihrer Handschrift. Und als Daphne sich erhob und die Damen bat, sich mit ihr zurückzuziehen, sah sie dabei Tessa an. Ich dachte, Tessa würde Ärger machen und sich weigern – was ich schon erlebt hatte in ihrer antiautoritären Phase –, sie stand aber gehorsam auf und verließ mit den übrigen das Eßzimmer. Wie auf ein Stichwort erzählte nun Giles drei weitschweifige Anekdoten über seine Zeit in Whitehall. Dabei kam er der Indiskretion nahe genug, unser Interesse festzuhalten, hütete sich aber, die Katze aus dem Sack zu lassen. Gegen Ende dieser Herrensitzung bei Portwein und Zigarren verwickelte Dicky Sir Giles und George in eine Diskussion über Zinssätze – da keine fashionable Londoner Dinner-Party vollkommen ist, ehe eine Erörterung der Steuerpolitik des Finanzministeriums stattgefunden hat –, und aus dieser wandte sich der Feine Harry mir zu und sagte: »Hast du gehört, was deinem alten Kumpel Kleindorf passiert ist?«
»Nein, was?«
»Tot!« Er hielt inne. Er muß gesehen haben, wie mich diese Nachricht traf.
»Aber wie denn?«
»Eine Überdosis. Du hast ihn ja kürzlich noch gesehen, wie ich hörte.«
»Versehentlich?«
»Versehentlich? Wenn er danach noch eine ganze Flasche Cognac getrunken hat, um ganz sicherzugehen!«
»Cognac?«
»Alten Cognac, den besten aus seinem Keller. Ich nehme an, er wird sich gesagt haben, daß er ihn sowieso nicht mitnehmen kann.«
»Der arme alte Rudi.«
»Er war alt genug, treue Freunde auf beiden Seiten der Mauer zu haben. Solche Leute gibt es nicht mehr viele. Der große Kleine war der letzte von der Berliner alten Garde«, sagte der Feine Harry.
»Fast der letzte«, sagte ich.
»Wer ist denn sonst noch da? Meinst du den Langen? Der ist doch Amerikaner. Dieses alte Schwein Rudi Kleindorf wußte, wo die Leichen vergraben sind. Und nun hat er seine Geheimnisse mit ins Grab genommen, Bernard.« Er kaute ein Stück Salzgebäck; Harry machte sich nicht viel aus Käse. »Er ist über den Tod seines Sohnes nie weggekommen. Und nun ist er auf die gleiche Weise gestorben. Überdosis. Mannomann! Wo werden all die kaputten Typen hingehen, jetzt, wo es das Babylon nicht mehr gibt?«
»Armer Rudi«, sagte ich wieder. »Aber warum hat er das nur getan?«
»Anscheinend hatte er Ärger mit den Behörden.«
»Er hatte immer Ärger mit den Behörden«, sagte ich. »Sein Vater war eine Art Kriegsheld. Rudolf Freiherr von Kleindorf. Berufsoffizier. Zeichnete sich während der Winterkämpfe an der Ostfront aus. Beim Ausbruch der ersten Panzerarmee aus Tarnopol. Einen nach dem anderen,

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