Gedrillt
nach der jeweils neuesten Mode geschnittenen Smokings.
An diesem Abend schien George Gloria zum erstenmal zu bemerken, denn gleich nach unserer Ankunft zog er sie in ein langes Gespräch. Dies überraschte mich etwas, denn George schien sich in Gesellschaft von Frauen nie sonderlich wohl zu fühlen, es sei denn, er kannte sie gut. Manchmal fragte ich mich, wie er jemals dazu gekommen war, Tessa zu heiraten, und weshalb. Fiona pflegte zu sagen, daß es Tessas unentwegte Seitensprünge waren, die George dazu trieben, so viel Geld zu verdienen, aber George war schon, lange bevor Tessa ihn heiratete, auf dem Weg, ein schwerreicher Mann zu werden. George war ein Mann von über jeden Zweifel erhabener Integrität, was ich nicht gerade von besonderem Vorteil für das Gebrauchtwagengeschäft hielt. Einmal hatte ich ihm das gesagt. Bezeichnenderweise hatte George mir gleich einen kleinen Vortrag über Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit in seinem Beruf gehalten.
George und Gloria plauderten miteinander, als zu Tisch gebeten wurde. Da George sehr klein war, kauerte sie auf der Lehne eines Sofas, so daß er nicht zu ihr aufblicken mußte. George mochte sie, das sah ich ihm am Gesicht an, und als andere kamen und sich ihrer Unterhaltung anschlossen, sorgte er dafür, ihre Aufmerksamkeit zu behalten. Jenkins wiederholte seine Ankündigung nun lauter. Alle sahen auf.
Nach ein paar gescheiterten Versuchen gelang es Jenkins, die Schiebetüren des dunklen, von Kerzen erleuchteten Eßzimmers zu öffnen, wo eine lange polierte und mit Blumen und glänzendem Geschirr gedeckte Tafel stand. Die Gesellschaft hielt einen Augenblick inne, um dieses Schauspiel zu betrachten. Dies, spürte ich, war der Anfang eines neuen Zeitalters des Cruyertums, hier wurde Anspruch erhoben auf ein besseres Leben, auf einen häuslichen Rahmen für einen Mann, der berufen war, im Kreise der Mächtigen zu sitzen, die geheime Dimension der Politik glänzend zu verwalten und sich endlich mit dem heißbegehrten Adelstitel zur Ruhe zu setzen. Blieb nur die Frage, warum er mich eingeladen hatte.
»Daphne! Wie malerisch!« rief Tessa, während wir hineingingen. »Un veritable coup de theatre, Schätzchen!«
»Psst!« hörte ich George zu ihr sagen, während wir auf der Suche nach unseren Tischkarten die Tafel umrundeten. Er sagte das in ruhigem, unpersönlichem Ton, wie ein Theaterbesucher auf einen zu spät kommenden Besucher reagieren mochte, ohne die anderen zu stören. Als wir uns setzten, erinnerte sich George mit seinem beneidenswerten Gedächtnis einer Begegnung mit dem Feinen Harry vor einigen Jahren, als Harry Georges Gebrauchtwagenimperium in einer der weniger gesunden Gegenden von Southwark im Süden Londons besucht hatte. Der Feine Harry lächelte, ohne die Erinnerung zu bestätigen oder zu bestreiten. So war er immer. Er konnte unergründlich sein. Er trug einen bemerkenswerten glänzenden schwarzen Smoking mit einem spitzenbesetzten Hemd, das Beau Brummel getragen haben könnte, außer daß es eine Spur zu auffällig war. Harry liebte es, sich fein anzuziehen, und man mußte zugeben, daß er es verstand.
Seine Begleiterin, im trägerlosen, sehr tief geschnittenen Abendkleid, war dieselbe Amerikanerin, mit der ich ihn in Southwark gesehen hatte. Sie war Mitte Dreißig und wäre hübsch gewesen, hätten nicht die ziemlich plumpen Züge ihrem Gesicht einen Ausdruck ständiger Verdrießlichkeit gegeben. Diesen Eindruck verstärkte noch der von ihr bevorzugte schrille Südstaatenakzent. Beim Dinner saß sie neben mir. Wie ich hörte, hieß sie Jo-Jo.
Mich interessierte es, das Wechselspiel zwischen dem Feinen Harry und unserem Gastgeber zu beobachten. Ich fragte mich, wo sie einander zuerst begegnet sein mochten, und ob Harrys Anwesenheit in London eine Entwicklung bei der CIA signalisierte, über die ich mich vielleicht kundig machen sollte. Ich wußte, daß sie einen neuen Residenten nach London geschickt hatten. Vielleicht war Harry dessen Spürhund. »Wie ist denn dein neuer Chef?« fragte Dicky den Feinen Harry beiläufig, als wir alle saßen und Wein ausgeschenkt wurde.
Harry, der mir gegenüber am Tisch saß, erwiderte: »Sag mal, Dicky, was genau heißt eigentlich ›Neue Sachlichkeit‹?« Dicky sagte: »Soviel wie neuer Realismus. In der Malerei, stimmt’s, Bernard?«
Von Natur aus unfähig, solche Fragen anders als umfassend zu beantworten, dozierte ich: »Und in der Dichtung. Eine Parole der zwanziger Jahre … eine Reaktion gegen den
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