Gedrillt
im Connaught. Was hältst du davon?«
»Das ist ein Angebot«, sagte ich.
»Sieh dir schon mal das hier an, während ich das übrige Zeug aus dem Safe oben hole.« Er reichte mir einen farbigen Aktendeckel und einen Filzstift.
Ich ging den Vorgang durch. Hinten war wie üblich ein rosa Blatt für Zusätze eingeheftet, ein von der CIA entworfener Fragebogen nach dem jeweils neuesten Stand dringlicher Angelegenheiten. Ich fand die gestellten Fragen nicht sonderlich schwierig, obwohl ich mich bei der Beantwortung ganz auf mein Gedächtnis verlassen mußte. Es waren aber eine Menge Fragen.
Harry kam mit zwei weiteren Akten zurück, die er mir auf den Schoß knallte. Dann bemerkte er, daß mein Glas leer war, ging und mixte uns zwei weitere vollkommene Martinis. »Es gibt da noch eine Akte, die ich aber nicht finden kann. Einer der Angestellten sagt, daß sie zum Grosvenor Square geschickt worden ist. Möglicherweise wollte Brody sie haben. Gegen Mittag wird sie vielleicht vom Boten zurückgebracht. Mach jedenfalls schon mal, was du schaffst, und dann gehen wir essen. Laß dein Paket hier. Wir kommen nach dem Lunch hierher zurück, und wenn die verdammte Akte inzwischen gebracht worden ist, kannst du ja vielleicht auch noch einen Blick drauf werfen.«
»Okay.«
Sobald meine Arbeit getan war, gingen wir zu Fuß zum Connaught-Hotel am Carlos Place, die kühle Luft milderte die Wirkung von Harrys Martini nur teilweise. Er hatte einen Tisch am Fenster bestellt und hielt sich in jeder Hinsicht an sein Versprechen. Wir bestellen à la carte, und die Weine, die er dazu passend aussuchte, waren hervorragend. Es war das erste Mal, daß ich in so freundschaftlicher Weise mit Harry plauderte. Ich kannte ihn schon seit vielen Jahren, doch hatten wir bisher immer nur geschäftlich miteinander zu tun gehabt.
Wenn die persönliche Tarnung ein Maßstab der Tüchtigkeit eines Agenten war, war Harry einer der tüchtigsten Agenten, die ich je gekannt habe. Jahrelang schien niemand mit Sicherheit zu wissen, ob er nun für die CIA arbeitete oder nicht. Selbst jetzt hätte ich nicht mit Sicherheit sagen können, ob er für sie in fester Anstellung tätig war. Harrys Bruder, viel älter als er selbst, war bei der Ausführung eines CIA-Auftrages in Vietnam elend umgekommen, und ich hatte sagen hören, daß Harry dem Geheimdienst die Schuld an seinem Tod gab. Doch hatte ich das ihm gegenüber nie erwähnt, und wenn diese vergangene Episode irgendwelche Spuren von Verbitterung bei ihm hinterlassen hatte, konnte man von ihm kaum erwarten, seine Gefühle zu zeigen.
Harry, nicht weniger zielbewußt und verschlagen als Rolf Mauser, hatte eine Vorgehensweise, die der des alten Mannes völlig entgegengesetzt war. Mauser liebte es, den Gegner mit Gewalt zum Nachgeben zu nötigen. Für Harry kam es nur auf das Ergebnis an. Da zeigte sich, schien mir, der grundlegende Unterschied zwischen Europa und dem Orient, zwischen dem Sichtbaren und dem Verborgenen, zwischen Kraft und List, Boxen und Judo.
Es wäre weiser gewesen, wenn ich solchen Überlegungen vor unserem Lunch mehr Gewicht gegeben hätte, denn als ich in das Haus an der Brook Street zurückkehrte, war ich nicht gefaßt auf den wütenden Empfang, der uns da zuteil wurde. »Wissen Sie, wie spät es ist?« schrie Brody, dessen Lunch mit dem Botschafter offensichtlich eine kürzere und kargere Erfrischung als unsere gewesen war.
»Tut mir leid, Joe«, erwiderte Harry, auf halber Höhe der Treppe innehaltend, während ihn der rotgesichtige Joe Brody von der ersten Etage herunter anschrie. Ich betrachtete Brody mit Interesse. Bisher hatte ich ihn nie anders als in entspannter und sanfter Stimmung gesehen. Brody trug einen dreiteiligen blauen Nadelstreifenanzug, der einem Mittagessen mit dem Botschafter angemessen war. Er war alt, ein kahlköpfiger Mann, dessen goldgeränderte runde Brillengläser seinem Gesicht so fest eingepaßt waren wie in den Stamm eines knorrigen alten Baums eingewachsene Münzen. Bei anderen Gelegenheiten hatte ich ihn, ein Glas in der Hand, den Umstehenden nachsichtig Gehör schenken und weise lächeln sehen. Aber hier war jetzt ein rasender Kerl, der sogar durch die ruhigen Züge des Feinen Harry Furchen pflügen konnte.
»Leid tut’s Ihnen. Verdammt, das sollte es auch. Wer ist das? Ach, Sie sind’s, Samson, ich hatte fast vergessen, daß Sie vorbeikommen wollten. Sind Sie fertig?«
Inzwischen waren wir auf dem oberen Treppenabsatz angelangt. Joe Brody winkte uns beide in den
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