Gefaehrlich begabt
dass sie wohl froh sein musste, dass sie nicht aus den Angeln flog. Sie schmiss sich aufs Bett und biss in das Kissen. Freundschaften fingen mit Begegnungen an. Irgendwie, irgendwo, irgendwann … Aber wo und wie endeten sie? Ehrliche Freundschaften endeten niemals, zumindest glaubte sie das. Aber wenn ihr Glaube der Wahrheit entsprach, besaß sie wohl keinen echten Freund. Sie behaupteten, sie ließe sich von Sebastian blenden? Sie würden besser daran tun, selbst die Sonnenbrillen abzunehmen, denn der Beirat trübte mit seinem widerlichen Glanz ihren Blick. Sie schluchzte ins Kissen und hörte, dass die Zimmertür knarrend aufging.
Anna richtete sich auf und sah Jenny hinter dem Tränenschleier auftauchen. Sie schloss die Tür und blieb mit trauriger Miene stehen.
»Was? Willst du weiter auf mir rumhacken?«, maulte Anna mit gequälter Stimme. Die Gefühlsattacke ließ sich nicht kontrollieren.
Jenny schüttelte den Kopf, trat auf sie zu und kniete sich hin. Sie zog Anna in ihre dünnen Arme und strich ihr über den Rücken. »Anna, ich bin auf deiner Seite«, sagte sie.
Eine wohlige Wärme ummantelte ihr Herz. Trotzdem schluchzte sie auf. Wie sollte ein Kind ihr groß helfen? Sie lehnte die Stirn an Jennys Schulter. Wenigstens blieb ihr jemand, der sie verstand.
»Kannst du aufhören, zu heulen? Wir haben was zu besprechen.«
Anna versuchte, die nachkommenden Tränen hinunterzuschlucken. Ihr gesträubtes Fell ließ sich kaum glätten. Schließlich rang sie sich durch, Jenny anzusehen.
»Ich habe einen Plan.«
»Was denn für einen Plan?« Anna schnäuzte in ein Taschentuch.
»Setz dich mal richtig hin.« Jenny sprach leise. Sie vermied, dass jemand das Gespräch belauschte.
Anna rutschte zur Seite. Jenny setzte sich neben sie.
»Hör zu, ich bin ganz genau deiner Ansicht. Der Beirat ist böse, genauso böse wie die Fingerless. Die anderen wissen das auch, aber sie sorgen sich um die Entführten. Deshalb müssen wir sie befreien, hörst du? Wir müssen erfahren, wo man sie gefangen hält. Wenn wir sie retten, wird jeder auf unserer Seite sein, außer vielleicht Kevin.«
»Kevin?«, fragte Anna. Es gab keinen vorstellbaren Grund, weshalb er nicht auf ihrer Seite sein sollte. Er gehörte zu ihren besten Freunden. Aber sie schätzte ja so manchen falsch ein.
»Ach, der Idiot handelt im Eifersuchtswahn. Man hat niemanden bei ihm als Druckmittel benötigt. Er ist total verknallt in dich und tatsächlich aus freien Stücken hier.«
»Kevin ist verliebt in mich?« Geahnt hatte sie es …
»Ja, und genau deshalb will er sich ausgerechnet Sebastian krallen. Aber allein wird er das auch nicht schaffen, deshalb müssen wir noch heute mit Suchen anfangen.«
»Sie werden trotzdem nicht zu mir halten«, sagte Anna leise und zog die Nase hoch.
Jenny verdrehte die Augen. »Selbstmitleid können wir uns im Augenblick nicht erlauben. Wir müssen jetzt irgendwie erst mal den Schlamassel ins Lot bringen. Jammern hilft nicht weiter.«
»Aber wie sollen wir denn herausfinden, wo sie meine Mutter und die anderen gefangen halten? Glaubst du, sie werden es einfach ausplaudern? Wen haben sie sonst noch?«
»Sallys Mutter und meinen Opa. Und soweit ich weiß, die kleine Schwester dieser Vanessa. Gott, Anna! Du solltest übrigens dringend die Wahl deiner Freunde überdenken. Die Frau ist total anstrengend und obereingebildet dazu.«
»Normalerweise ist sie nicht so, sie ist verzweifelt«, versuchte Anna, sie zu verteidigen, obwohl sie ihr eigentlich lieber den Kopf abgerissen hätte. So langsam beruhigte sich das überhitzte Gemüt. Ihre Leute waren mit der Situation überfordert. Wer konnte ihnen das schon verübeln?
»Jaja. Sie plappert in einer Tour, sobald du den Raum verlässt und schimpft und heult rum. Aber wie auch immer, ich habe eine Idee.« Jenny grinste.
»Schieß los.« Ein kleiner Hoffnungsschimmer schlich sich an den Horizont. Vielleicht tat sie gut daran, Jenny zu vertrauen. Es gab keinen klügeren Menschen auf der Erde als Marla. Vielleicht hatte Jenny etwas davon geerbt.
»Denk doch mal nach! Du bist ein Medium. Alles, was wir tun müssen, ist, Kontakt aufzunehmen. Zu jemandem, der damals als Druckmittel hingehalten hat oder zu einem ehemaligen Jäger!«
»Und wer soll das sein?« Ohne zu wissen, wen sie aufsuchen sollte, machte eine Séance wenig Sinn.
»Tja, wenn du mich nicht hättest … hättest du vermutlich einen anderen, der für dich denkt. Der Beirat ist nicht halb so helle, wie er glaubt.
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