Gefaehrlich schoener Fremder
das Büro, ohne auf eine Antwort zu warten. Luke saß hinter seinem chaotisch vollen Schreibtisch, den blonden Kopf gebeugt und in Papiere vertieft.
Flüchtig blickte er auf. „Es tut mir leid, aber wenn Sie wegen des Bedienungsjobs gekommen sind, müssen Sie heute Nachmittag wiederkommen."
Er hatte sie nicht erkannt! Ihr eigener Bruder hatte sie nicht erkannt!
„Ich würde eine katastrophale Kellnerin abgeben, Luke, das weißt du genau."
Er riss den Kopf hoch, wobei ihm eine Locke seines goldblonden Haares in die braune Stirn fiel. Überrascht riss er seine blitzblauen Augen auf. Das kantige, entschlossen wirkende Kinn fiel fast herunter.
„Emily?" Sein Mund schnappte wieder zu. „Was, zum Teufel, machst du hier?"
„Ist das eine Art, deine Lieblingsschwester zu begrüßen?" Luke sprang vom Stuhl hoch und beeilte sich, sie zu umarmen. Für einen kurzen Moment schmiegte sich Emily ganz fest an ihn. Sie brauchte seine Kraft, seine solide Wärme, die Vertrautheit mit ihm. Aber sie musste tun, was getan werden musste. Entschlossen löste sie sich aus seinen Armen.
„Du bist meine einzige Schwester", erwiderte Luke scharf. „Und die sollte eigentlich in Hawaii sein."
Emily lächelte schwach über den anklagenden Ton. Luke war es gewesen, der sie gedrängt hatte, endlich einmal Urlaub zu machen.
Er hob eine Hand und berührte ihr Haar. „Was, zum Teufel, hast du dir da angetan?"
Er hatte also nicht die Nachrichten gesehen. Lügen konnte sie nicht, aber sie musste jetzt zu geschicktem Ausweichmanövern ansetzen. „Du liegst mir doch seit Jahren in den Ohren, dass ich mein Äußeres ändern soll. Gefällt dir mein neues Ich nicht?"
Luke hielt sie auf Armeslänge von sich ab und musterte sie mit nachdenklich geschürzten Lippen vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen.
„Als Mann kann ich nur einen einzigen Kommentar abgeben." Er stieß einen lauten, typisch männlich bewundernden Pfiff aus. „Als Bruder kann ich nur mit Schrecken daran denken, dass mein Geschäft bald den Bach runtergehen wird, weil ich von jetzt ab voll damit beschäftigt sein werde, geile Männer von meiner aufreizenden Schwester fernzuhalten."
„Ach, du Charmeur." Emily lachte.
Luke führte sie hinüber zur Couch und setzte sich neben sie. „Okay, Schwesterchen." Er nahm ihre beiden Hände in seine so viel größeren. „Raus mit der Sprache. Was ist los?"
„Brauche ich einen Grund, um meinen Bruder zu besuchen?"
Luke überhörte die Frage und lehnte sic h zurück. „Es muss schon etwas ganz Wichtiges sein, wenn du deinen Laden verlässt. Du hast dich bestimmt nicht nur deshalb auf den Weg hierher gemacht, um mir dein neues Ich vorzuführen."
Emily schlug den Blick nieder. „Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Luke.
Leih mir etwas Geld."
„Wenn ich mich recht erinnere, habe ich dir das letzte Mal im Jahr sechsundsiebzig etwas geliehen."
Emily nickte wehmütig bei der Erinnerung. „Deine Lieblingsplatte."
„Du hast sie zerkratzt, und ich weiß noch genau, dass du geschworen hast, dir nie wieder etwa von mir zu leihen."
Hitze stieg Emily wieder in die Wangen. Dir war klar, was Luke bezweckte.
Aber sie war jetzt nicht mehr das verängstigte kleine Mädchen, das einen leichten Rippens toß brauchte, um vor dem großen Bruder seine Probleme auszubreiten.
Nein, dachte sie gequält. Jetzt bin ich ein großes verängstigtes Mädchen, das bis über dem Kopf im Dreck steckt.
Luke schob ihr die Hand unters Kinn und hob ihr Gesicht hoch. „Was ist los, Em?"
„Ich... ich kann es dir nicht sagen. Hilf mir bitte, und stell keine weiteren Fragen!"
Die Miene ihres Bruders verdüsterte sich. „Wie kommst du auf den Gedanken, ich würde dir einfach Geld geben und dich dann ohne ein Wort der Erklärung wieder zur Tür hinausgehen lassen?"
„Ich weiß, dass du es tust, weil ich dich darum bitte."
Luke hatte ihr beigestanden, als sie ihre Verlobung mit Jacob Ridley gelöst hatte.
Er hatte sie in ihrem Entschluss bestärkt, den Buchladen aufzumachen, während ihre Eltern versucht hatten, es ihr auszureden.
Sie hoffte, er würde ihr auch jetzt helfen.
„Okay, ich leihe dir das Geld, und ich stelle keine Fragen. Du musst mir aber versprechen, dass du dich sofort an mich wendest, wenn du weitere Hilfe benötigst - wenn du mich brauchst."
Emily stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und sah ihren Bruder dankbar lächelnd an. „Das verspreche ich. Ich schicke dir dann ein Telegramm in unserer Geheimsprache von früher."
Luke
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