Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
knisternden Kamin. Stocksteif stehen wir mitten im Raum, Seite an Seite und starren die Leinwand an.
„Wie heimelig“, murmelt Mama , als plötzlich eine Männerstimme ertönt.
„Herzlich Willkommen auf Maigritte!“ Die Stimme klingt dunkel, rau und schmeichelnd, wie in den Werbespots für Zigaretten, als die noch nicht verboten waren. „Ich hoffe, die Kopfschmerzen fallen nicht ganz so schlimm aus. Wenn doch, so möchte ich mich dafür entschuldigen. Wir sind wir nicht geübt darin, hübsche Damen zu betäuben.“
Es rauscht und kracht. „Maigritte heißt der Bau“, kreische ich, „und es sind mehr als einer.“ Dann geht es weiter.
„ Ich hoffe, sie finden auf ihren Zimmern vor, was sie brauchen. Sollten sie darüber hinaus einen Wunsch haben, teilen sie ihn bitte Dominique mit. Sie wird sie nach dieser kleinen Video-Vorstellung aufsuchen. Sicher sind sie hungrig. Darum habe ich für sie einen Imbiss vorbereiten lassen. Bis Dominique erscheint, um sie abzuholen, sollten sie – sofern noch nicht geschehen – einen Blick in ihre Kleiderschränke werfen. Es gibt eine Kleiderordnung: Beim Dinner tragen wir üblicherweise gemäßigte Festkleidung. Es wäre schön, wenn sie sich darauf einstellen könnten.“
Erneutes Rauschen und Krachen.
„Von jetzt an haben Sie exakt zehn Minuten, um sich auf das Dinner vorzubereiten.“
Krach, krach, krach. Die Leinwand fährt hoch, das blaue Licht des Beamers erlischt. Nur noch die Lüftung rauscht nach.
Mama und ich starren uns entgeistert an. Dann kommt Leben in uns. Wie auf Kommando rasen wir zu unseren Kleiderschränken.
„Ich nehme das grüne Cocktailkleid“, brüllt Mutter , während ich noch versuche, die Begriffe Kleiderordnung, Imbiss und Dinner zusammen zu bringen, und außerdem begreife, dass wir anscheinend überwacht werden. Ich suche den Raum nach Kameras ab. Als ich keine entdecke, reiße ich mit fliegenden Fingern ein Kleid nach dem anderen aus meinem Schrank. Am Ende tausche ich das rote Sportzeug gegen ein knapp knielanges, hautenges, babyblaues Seidenkleid, zu dem es ein Paar passende Handschuhe gibt, die mir bis über die Ellbogen reichen.
„Beeil dich“, treibt Mama mich an. Sie ist bereits komplett angezogen. Dunkelgrün ist ihr Kleid, knöchellang und am Saum leicht ausgestellt. Dazu trägt sie farblich passende Peep Toes ohne Strümpfe. Aus dem kleinen Loch lugt ihr dicker Zeh hervor. Er sieht frisch lackiert aus.
„Ich habe dein Plätteisen vorgeheizt“, informiert sie mich, während sie den langen Reißverschluss auf der Rückseite meines Kleides nach oben zieht. Dank Yoga ist sie so gelenkig, dass sie ihr eigenes Kleid selbst verschließen kann. Sofort beginnt sie, meinen langen Zopf, den ich schon wer weiß wie lange trage, auseinander zu fummeln.
„D eine Haare sehen aus wie Wellpappe“, verkündet sie. „Geh in mein Bad. Das Plätteisen liegt dort. Schnell“, treibt sie mich an und ich laufe los. „Beeil dich. Ich höre Schritte. Das ist bestimmt diese Dominique, von der die Stimme im Video gesprochen hat.“
Aus dem Spiegel sieht mir ein Rauschengel entgegen. In Windeseile ziehe ich mein Haar vom Scheitel bis zu den Spitzen glatt. Rechts, links, hinten. Schon besser. Im Zimmer nebenan wird bereits die Tür geöffnet. Zackige Schritte erklingen auf dem Parkett.
Mutter und ich reißen die Köpfe herum – und sehen direkt auf eine kleine, pummelige Frau um die sechzig, die meiner toten Oma ähnelt. Zumindest hat sie dieselbe rundliche Figur und dieselbe Blumenkohlfrisur auf dem Kopf. Auch das geblümte, bis zum Hals zugeknöpfte Hemdblusenkleid könnte aus Omas Schrank stammen.
„ Mesdames, folgen Sie mir. Das Dinner beginnt in fünf Minuten.“ Die Frau sieht freundlich aus, was vermutlich an der Oma-ähnlichen Ausstrahlung liegt, klingt aber eher wie ein Feldwebel.
Mama und ic h wechseln ein paar schnelle Blicke. Die Tür ist weit geöffnet, die Omi sieht nicht aus, als hätte sie den schwarzen Gürtel in Karate, eine Knarre hat sie auch nicht dabei. Worauf warten wir noch?
„An ihrer Stelle würde ich nicht versuchen zu fliehen.“ Dominique scheint unsere Gedanken lesen zu können. Sie streicht sich über den kugeligen Bauch, dreht sich auf den schiefen Absätzen ihrer haselnussbraunen Gesundheitsschuhe um und stapft davon. Der Gang ist so lang, dass das Ende im Dunkeln verschwindet.
Mutter nickt mir zu und wir folgen Dominique. Wenigstens tut sich endlich was, scheint sie zu sagen.
„Wie lange werden wir
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