Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
Mutter macht einen beherzten Schritt an die frische Luft. „Es ist immer noch Dezember“, stellt sie fest. „Du hast Glück, dass deine Füße gut eingepackt sind.“
„ Ich gehe nicht da raus!“ Ich umschlinge mich mit meinen Armen und mache ein paar Schritte zurück.
„ Komm schon. Dominique finden wir sowieso nicht wieder“, brummt Mutter. „Ich will wissen, welche Schweine uns entführt haben.“
Ich nicht.
„Es ist stockdunkel und scheißekalt“, fluche ich. „Lass‘ uns drinnen umsehen, bevor wir erfrieren.“ Das bringt mich auf eine weitere Idee, warum wir entführt sein könnten: „Vielleicht ist das der Sinn der Geschichte: Zwei Psychopathen wollen uns beim Erfrieren zuzusehen.“
Mutter sieht mich mit großen Augen an und macht: „Buh!“
Ich fahre zusammen. Nachdem ich den Schrecken überlebt habe, kreische ich: „Du bist wohl wahnsinnig!“
„ Mesdames Dechamps“, ertönt da die raue Stimme aus dem Video. Im nächsten Moment gehen mehrere antike, dreiarmige Laternen an und der Innenhof erstrahlt in voller Pracht.
Anstatt erneut zu erschrecken, bin ich vollkommen baff. Der Boden ist mit Steinen gepflastert, die eine Art Patchworkmuster bilden, das immer wieder von kleinen Beeten unterbrochen wird. In einigen stehen Pflanzen, die mit einer dünnen Eisschicht überzogen sind, und überall erheben sich prächtige Engelsstatuen.
„Ist das schön“, haucht meine Mutter. Sie ist so beeindruckt von dem Hof, den Skulpturen und den alten Mauern, die uns umgeben, dass sie ganz vergisst zu zittern. Außerdem hat sie wohl vergessen, dass wir Gefangene sind. Darum erinnere ich sie daran.
„Stimmt“, nickt sie. „Die Typen krallen wir uns. Wir machen sie fertig.“
„Da drüben stehen sie“, flüstere ich skeptisch.
„Wo?“ Mutter sieht sich hektisch um. Dann entdeckt auch sie die beiden hochgewachsenen Männer, die auf der anderen Seite des Hofes auf uns warten, allerdings mit den Rücken zu uns, und umgeben von einer hüfthohen Mauer, hinter der Rauch aufsteigt. Dort stehen auch zwei Heizpilze aus blinkendem Edelstahl. Beim Anblick der Heizpilze krallt sich Mutter meine Hand und zieht mich brutal über den Hof.
Das Laufen ist für mich ohnehin schon die reinste Qual, aber auf dem unebenen Boden wird es zu einer schier unerträglichen Folter. Trotzdem kommen wir heil auf der anderen Seite des Hofes an und treten in eine mit Bruchsteinen abgemauerte Terrasse. Der Duft von Gegrilltem schlägt mir entgegen. Bratwürstchen und Spieße schmurgeln auf dem Grill, auf einem Tisch mit einer türkisgrünen Fliesenmosaikplatte steht ein Korb mit reichlich Brot, daneben Butter, Wasser, einige Flaschen Wein, Teller und Besteck. Die Heizpilze verbreiten wohlige Wärme. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Erst jetzt bemerke ich, wie hungrig ich bin. Das letzte, das in meinem Magen gelandet ist, waren ein paar Löffel Couscous und der krümelige Keks in dem marokkanischen Restaurant. Aber auch das ist ja längst wieder draußen – und steht noch in der Schüssel im Waschbecken. Himmelherrgott. Selbst das kommt mir vor, als läge es Jahre zurück.
„Wie spät ist es? Welcher Tag ist heute? Und wo sind wir?“, platze ich heraus , während Mutter sich an einen der Heizpilze klammert.
Einer der Männer entkorkt eine Flasche Rotwein, der andere dreht uns weiterhin ungerührt den Rücken zu.
„ Bonsoir, Mesdames Dechamps“, begrüßt uns der Sommelier, zieht noch schnell den Korken aus der Flasche und stellt den Wein auf den Fliesentisch. Es ist fraglos der mit der rauen Stimme. Mit langen Schritten kommt er auf uns zu. Bevor Mama sich ducken oder sonstwas tun kann, um ihm aus dem Weg zu gehen, drückt er ihr die üblichen Begrüßungsküsse auf die Wangen. „Sie sehen wunderschön aus, Madame.“ Dann bin ich reif.
Ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt für ratsam, mich nicht großartig zu wehren und erwidere die Küsse. Der Mann ist groß, kräftig und einige Jahre älter als Mama. Er duftet hervorragend nach einem mir unbekannten Parfüm. Die schwarze Anzughose und das weiße Hemd sitzen tadellos, seine Schuhe sehen handgefertigt aus. Er selbst erinnert mich eindeutig an Sean Connery. Bestimmt war er mal ein richtiger Frauentyp. Bei Frauen älterer Jahrgänge als ich es bin, kommt er bestimmt immer noch gut an. Ich sehe zu Mama, die eingefroren zu sein scheint. Ihre Augen haften groß und rund auf dem großen, kräftigen Mann. Man könnte meinen, dass sie den Kerl kennt.
Dann dreht
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