Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 2
Und ich habe keine Ahnung, ob Oma davon wusste. Oder ob sie mitgeholfen hat, damit ich nichts von Mutters Affäre bemerke. Sie hatte eine Affäre mit meinem eigenen Vater. Und so wie es aussieht haben sie sich geliebt. All die Jahre. Hatten sogar ein Kind. Ich kann das nicht fassen.“
D ann reicht Mel mir das erste Foto, auf dem ich zu sehen bin. Ein Portraitfoto, aufgenommen auf einer Schulveranstaltung. Es folgen weitere Fotos von mir. Ich als Baby, ich bei der Taufe, ich im Kindergarten, einmal sogar in Umarmung mit Clément. Meine Einschulung, die Kommunion, der Übergang zum Gymnasium. Mit einem Buch in der Hand auf einer Liege im Garten. Mit meiner Pferde liebenden Freundin. Bei den Hausaufgaben. Mit meiner Mutter auf dem Kettenkarrussel, auf dem Jahrmarkt in Meaux.
Meine ganze Kindheit auf unzähligen Bildern, die ich nie zuvor gesehen habe. Fotos, die Mama ihrem Liebhaber geschenkt hat. Oder die er von ihr gemacht hat. Hat er auch die Bilder von mir gemacht?
Verdammt, wer hat die Fotos aufgenommen, auf denen Mama und ich gemeinsam zu sehen sind? Oma? Ich weiß es nicht. Ich kann mich nur an die Situationen erinnern, nicht an den Fotografen oder die Fotografin. Oma war oft bei uns. Aber hat sie fotografiert? So sehr ich mir das Hirn zermartere, ich weiß es nicht. Ich kann mich nur an eine einzige Situation erinnern, in der Oma so eine flache, altmodische Ritsch-Ratsch-Kamera in der Hand hielt. Das war, als wir zu Dritt im Park von Versailles waren.
Mel und ich wühlen uns stundenlang durch Fotografien , auf denen immer dieselben Personen zu sehen sind. Mal nur meine Mutter. Bis auf ein einziges Mal glücklich. Auf dem Trauer-Foto steht: Abschied. Aber das war wohl kein Abschied für immer. Vielleicht nur der Abschied nach einem gemeinsamen Wochenende oder nach einer gemeinsam verbrachten Nacht in irgendeinem Hotel. Irgendwo, wo niemand die schöne Frau und den allzu gut aussehenden Mann erkennt.
„ Niemand macht solche Fotos, wenn er den anderen nicht liebt und sich nicht für ihn interessiert“, bemerkt Mel seufzend. „Wie romantisch.“
Ich sehe Mel von der Seite an. „Romantisch findest du das? Ich finde das ... irgendwie ... krank. Warum hat er sich nicht von seiner Frau getrennt? Warum hat Mutter mir nicht von ihm erzählt? Ich weiß schon warum. Meine Mutter hat es mir verraten. Die Frau war psychisch krank. Und mein Vater hat krumme Dinger gedreht. Aber wäre es die Sache nicht wert gewesen? Für eine solche Liebe? Und auch dem Kind zuliebe.“
Mel zuckt mit den Schultern. „Ich bin ehrlich gesagt erschlagen. Von der Bilderflut und von dieser Geschichte. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich kann das nicht beurteilen.“
„Was glaubst du, wie es mir geht?“
„Die Sache ist, dass niemand die Zeit zurückdrehen kann. Bist du sehr traurig, Jade?“
Ich sehe Mel ratlos an und seufze. Ich weiß es wirklich nicht.
„Ich denke, es ist wie es ist“, sage ich schließlich. „Wie du schon sagst: Man kann die Zeit nicht zurückdrehen.“
„Was willst du tun?“ Mel greift nach meiner Rechten und streichelt sanft über meinen Handrücken.
„Heute würde ich dich gern zum Joggen begleiten. Leider verstauben meine Joggingsachen in Monthomé. Nein, das stimmt ja gar nicht“, mit einem Mal fällt mir das knallrote Sportzeug ein, das ich aus dem Schloss habe mitgehen lassen. „Ich packe jetzt alle Fotos zurück in die Kiste und dann ziehe ich mich um.“
„Ich helfe dir“, sagt Mel und legt bereits die ersten Fotos in den Karton zurück.
***
„Hast du mal deine Nase an die frische Luft gesteckt? So kannst du nicht durch diese Kälte da draußen rennen“, entscheidet Mel, als sie mich in meinem Personalzimmer abholt und ich in kniekurzen Leggings und dem ärmellosen Top vor ihr stehe. „ Komm’ mit. Ich habe noch ein paar warme Sachen in dem Schrank im Büro.“
Ein paar warme Sachen sind gut. Mel bewahrt in dem Schrank Joggingausrüstungen für alle Wetterlagen auf. Sie leiht mir einen Klimatexpulli, eine Klimatexjacke, ein Paar Handschuhe und eine seltsame Kopfbedeckung, die mich an die Dinger erinnern, unter denen Bankräuber ihr Gesicht verstecken. Zum Schluss muss ich noch ein Paar gelbe Stulpen über meine nackten Waden ziehen, die sie sich vor ein Paar Monaten für einen Ballettkurs gekauft hat.
Ich sehe ziemlich abenteuerlich aus, als ich neben Mel durch den Eiffelturm-Park jogge. Sie aber auch. Um die Stirn hat sie sich eine Lampe geschnallt, damit sie im Dunkeln
Weitere Kostenlose Bücher