Gefährliche Begierde
Portland Press Herald. Eine solide Karriere.
Also, weshalb war sie hier gelandet?
Irgendetwas an diesem Lebenslauf störte ihn. Irgendetwas erschien ihm zweifelhaft. Und es war genug, um ihn zum Hörer greifen und die Nummer ihres früheren Arbeitgebers, dem Portland Press Herald wählen zu lassen. Er sprach mit der aktuellen Redakteurin, einer Frau, die sich nur noch vage an Jill Vickery erinnerte.
Als nächstes rief Chase bei der San José Times an. Diesmal schien es ungewiss, man brüllte durch die Redaktion, ob jemand eine Reporterin namens Jill Vickery kannte, die sieben Jahre vorher dort gearbeitet hatte. Jemand schrie zurück, ob da nicht vor ein paar Jahren eine Jill als Polizeireporterin gearbeitet hätte. Das genügte Chase. Er legte auf und überlegte schon aufzugeben.
San Diego Union
, las er noch einmal.
Schwerpunkt: Nachrufe. Das ergab keinen Sinn. Nachrufe waren die Entsprechung der Kohlengrube im Zeitungsgeschäft. Von da aus arbeitete man sich nach oben. Warum war sie von der Lokalredaktion in San Francisco auf dieser niederen Position gelandet?
Er rief beim San Diego Union an. Jemand mit dem Namen Jill Vickery hatte nie dort gearbeitet.
Dasselbe galt für San Francisco.
Die Hälfte des Lebenslaufs schien gefälscht. Warum? Und wenn dem so war – was hatte Jill in den acht Jahren zwischen der Universität und ihrem Job bei der San José Times gemacht?
Er griff noch einmal zum Hörer. Diesmal rief er bei der Columbia Universität in der Fakultät für Journalismus an. Wie viele Studenten pro Jahrgang schlossen mit einem Examen ab? Und wie viele dieser Studenten hießen mit Vornamen Jill?
1979 gab es nur eine, erklärten sie ihm. Aber es war keine Jill Vickery, die erfolgreich abgeschlossen hatte, sondern eine Jill Westcott.
Dann rief Chase noch einmal bei der San Diego Union an. Diesmal fragte er nach Jill Westcott, und diesmal erinnerte man sich an den Namen. Wir faxen Ihnen den Artikel, sagten sie.
Ein paar Minuten später kam er scharf und klar aus dem Faxgerät.
Er zeigte ein Foto von Jill Westcott, die nun Jill Vickery hieß. Und erzählte die Geschichte eines kaltblütigen Mordes.
Miranda saß im schwindenden Tageslicht und starrte planlos auf ihre Umgebung. Sie hatte den Nachmittag damit verbracht, das Badezimmer und zwei Schlafzimmer zu durchsuchen. Inzwischen war ihr heiß geworden und sie fühlte sich staubig und entmutigt. Nichts von Substanz war aufgetaucht, nur harmlose Zettel – Quittungen, eine zehn Jahre alte Ansichtskarte aus Spanien und eine weitere Maschinen geschriebene Nachricht von M.
»… Ich bin nicht das schwache kleine Nichts, das ich einmal gewesen war. Ich kann gut ohne dich leben, und das werde ich auch. Ich brauche dein Mitleid nicht. Ich bin nicht wie die anderen, diese Frauen ohne Grips. Was, um Himmels Willen, findest du nur an diesen Kreaturen? Ist es die Lust des Fleisches? Die blinde Verehrung, die sie dir entgegen bringen? Gut, es bedeutet nichts. Es ist nur leere Anbetung. Ohne dein Geld würdest du keines zweiten Blickes von diesen Puppen gewürdigt. Ich bin die Einzige, der es egal ist, wie viel du auf der Bank hast. Und nun hast du mich verloren.«
Die Bitterkeit und das Leid, das aus diesem Brief sprach, waren ihrer eigenen Laune nicht zuträglich. Miranda steckte den Brief in die Schublade zurück und vergrub ihn unter der Seidenunterwäsche. Die Wäsche einer anderen Frau. Die Qualen einer anderen Frau.
Als sie das Zimmer aufgeräumt hatte, war der Nachmittag bereits in den Abend übergegangen. Sie schaltete dennoch kein Licht an. Das Halbdunkel, das sich wie ein Vorhang über sie legte und das Zirpen der Grillen, das durch das offene Fenster zu ihr drang, übten eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Vom Feld kam der undefinierbare Geruch des Abends – nach Seenebel und kühlem Gras. Sie ging zu einem Sessel am Fenster, setzte sich hin und legte ihren Kopf zurück, um sich auszuruhen. So viele Zweifel, so viele Sorgen lasteten auf ihr. Und immer, hinter jedem zaghaften Augenblick der Freude, lauerte drohend das Gefängnis. Während der letzten Tage in Freiheit hatte es Momente gegeben, in denen sie beinahe in der Lage gewesen war, diesen Gedanken von sich wegzuschieben. Doch in Momenten wie diesem, wenn es still war, blieb sie alleine mit ihren Ängsten, und die Vorstellung von Gefängnisgittern schien sie zu erdrücken. Wie viele Jahre werden sie mich einsperren? Zehn, zwanzig, ein Leben lang?
Lieber würde ich sterben.
Sie
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