Gefährliche Begierde
so, als ob ich in die Geschichte einfach … einfach einsteige, wo er sie verlassen hat.«
»Gut, vielleicht ist es nicht ganz so einfach. Vielleicht merkst du nicht einmal, dass du genau das tust.« Sie griff nach einem anderen Buch und konzentrierte sich stur auf die Seiten, die sie durchblätterte. »Aber wir wissen beide, dass Richard der Goldjunge der Familie war. Derjenige, der alles hatte und alles erbte. Du warst der Tremain, dem nicht einmal ein bescheidenes Treuhandkonto überantwortet wurde. Tja, und wenn du schon weder Zeitung noch Vermögen erben kannst, dann vielleicht wenigstens die ehemalige Geliebte deines Bruders. Oder, hui, vielleicht sogar seine Frau. Überlege nur einmal. Evelyn würde sich nicht einmal die Mühe machen müssen, ihren Namen zu ändern.«
»Bist du fertig?«
»Definitiv.«
»Gut. Weil ich nämlich nicht glaube, dass ich noch länger hier stehen und mir diesen Mist weiter anhören kann. Aber zu deinen Anwürfen, erstens: Ich bin nicht im Geringsten an meiner Schwägerin interessiert. Das war ich nie. Als Richard sie heiratete, musste ich mich zurückhalten, ihm nicht mein Beileid auszusprechen. Zweitens ist es mir verdammt egal, wer den Herald bekommt. Ich wollte diesen Job nie haben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Zeitung war von Anfang an Richards Baby. Und drittens …« Er machte eine Pause und holte tief Luft, so als wollte er seinen Mut sammeln für das, was er zu sagen hatte. »Drittens«, sagte er leise. »Ich bin kein Tremain.«
Skeptisch sah sie ihn an. »Was sagst du da? Du bist aber doch Richards Bruder, oder nicht?«
»Sein Halbbruder.«
»Du meinst …« Sie starrte in diese Zigeuneraugen und entdeckte ihr Spiegelbild in den kohlrabenschwarzen Pupillen.
Chase nickte. »Mein Vater wusste es. Ich glaube nicht, dass Mutter es ihm jemals erzählt hat. Brauchte sie auch nicht. Er musste mich nur ansehen, um es zu wissen.« Er schenkte ihr ein bitter-ironisches Lächeln. »Lustig, dass ich das nie bemerkt habe. Meine ganze Kindheit über verstand ich nicht, weshalb ich es nicht mit Richard aufnehmen konnte. Egal, wie sehr ich mich auch bemühte, war immer er derjenige, dem Vaters Aufmerksamkeit gehörte. Meine Mutter versuchte, es wett zu machen. Sie war bis zu ihren Tod mein allerbester Freund. Und dann waren wir nur noch zu dritt.« Er ließ sich in einen Sessel fallen und rieb sich die Stirn, so als wollte er seine Erinnerungen wegwischen.
»Wann hast du erfahren«, fragte Miranda behutsam, »dass er nicht dein Vater war?«
»Erst Jahre später, als er im Sterben lag. Es gab eine Beichte am Totenbett, wie man es aus schlechten Filmen kennt. Nur, dass er es nicht mir erzählt hat, sondern Richard, dem Privilegierten.« Erschöpft lehnte sich Chase im Sessel zurück und presste seinen Kopf gegen die Kissen, den Blick an die Decke gerichtet. »Später, bei der Testamentsverlesung, konnte ich nicht verstehen, warum ich übergangen worden war. Oh, er hinterließ mir genug, um mir beruflich etwas aufzubauen, aber das war alles. Ich dachte, es läge an meiner Ehe, daran, dass Vater von Anfang an dagegen gewesen war. Ich war verletzt, aber ich akzeptierte es. Nicht so meine Frau. Sie und Richard lieferten sich einen lautstarken Streit. Sie schrie, dass es nicht fair sei. Da verlor Richard die Beherrschung und verriet alles. Das große Geheimnis. Die Tatsache, dass sein Bruder ein Bastard war.«
»Hast du damals die Insel verlassen?«
Er nickte. »Meiner Frau zuliebe kam ich ein- oder zweimal zurück, und nachdem wir geschieden worden waren, schien ich meine letzte Verbindung zu dieser Insel verloren zu haben. Also blieb ich weg. Bis jetzt.«
Sie schwiegen. Es schien, als verlöre er sich in traurigen Erinnerungen und alten Wunden. Kein Wunder, dass ich niemals eine Ähnlichkeit mit Richard in Chase Gesicht fand, dachte Miranda. Er ist überhaupt kein Tremain. Er ist nur er selber, die Art von Mann, die Richard nie sein konnte.
Die Art von Mann, die ich lieben könnte.
Er spürte, dass sie ihn beobachtete und dass sie im Begriff war, ihre Hand nach ihm auszustrecken. Abrupt erhob er sich und schlenderte mit einstudierter Gleichgültigkeit zur Verandatür. Dort blieb er stehen und sah hinaus auf die Felder. »Vielleicht hast du Recht«, sagte er.
»Womit?«
»Dass die Geschichte zwischen Richard und dir immer noch über uns schwebt.«
»Du meinst, wir sollten es besser bleiben lassen, oder?« murmelte sie.
»Das allein ist es nicht.« Er
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