Gefährliche Flucht - zärtliche Eroberung
einer Weile.
„Nein.“ Lucien strich über den Wachsstummel auf Madelines Kerzenhalter. „Ich fürchte, meine Empfindungen für sie gehen um einiges tiefer.“ Er hielt inne, als ihm die Tragweite seines Eingeständnisses bewusst wurde.
Guy seufzte und lächelte schief. „Nun, in dem Fall wäre es wohl das Beste, wenn du dir einen starken Kaffee und ein kräftiges Frühstück genehmigst und dich daranmachst, herauszufinden, was genau Farquharson mit seinen Verleumdungen bezwecken will.“
Kurze Zeit später kam ein glatt rasierter, um einiges frischer aussehender Lucien auf der Suche nach seiner Gattin die Treppe heruntergeeilt. In der Halle traf er Mrs. Babcock, die ihn darüber in Kenntnis setzte, dass Madeline nach Tintagel gefahren war.
„ Wo ist sie hingefahren?“ Lucien glaubte sich verhört zu haben.
Mrs. Babcock schnaubte ungnädig. „Zur Burg von Tintagel. Ich habe versucht, sie davon abzuhalten, aber sie versicherte mir, Sie hätten Ihre Ansicht geändert und nichts dagegen, wenn sie das Haus ohne Ihre Begleitung verlässt. Sie müssen wie ein Toter geschlafen haben, denn als ich Sie von den Absichten Ihrer Ladyschaft unterrichten wollte, wurden Sie nicht wach, obwohl ich laut und anhaltend klopfte.“ Die Haushälterin verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie ist schon am Morgen losgefahren und wollte am Nachmittag zurück sein. Ach ja, und sie erkundigte sich, ob Lord Salcombe schon auf ist. Ich nehme an, sie hat etwas mit ihm zu bereden.“
Lucien öffnete den Mund, um zu sprechen, doch Mrs. Babcock ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Bevor Sie fragen – John Hayley und Betsy sind bei ihr. Und Boyle kutschiert, obwohl ihn sein Rücken heute Morgen wieder arg plagte.“
„Danke, Mrs. Babcock.“ Aufs Höchste beunruhigt, wandte Lucien sich ab. Madeline war in Tintagel – dem Ort, an dem Sarah Wyatt den Tod gefunden hatte.
Tief atmete Madeline die kühle, salzige Luft ein und genoss die malerische Aussicht, die sich vor ihren Augen auftat. Die Burgruine von Tintagel lag hoch oben auf einer schroff ins Meer stürzenden Klippe und bot einen herrlichen Blick über die See, deren blaugrüne, schaumgekrönte Wellen gegen die zerklüfteten Felsen der Steilküste brandeten.
Madeline ließ sich auf einer verwitterten Holzbank nieder. Sie band die Schleife unterm Kinn auf und zog sich die Schute vom Kopf. Es tat gut, das Gesicht in die Sonne zu halten und den frischen Seewind in den Haaren zu spüren. Sie war froh, einen Moment allein zu sein. Mr. Boyle wartete bei der Kutsche, und Betsy und John wanderten auf eigene Faust durch die Ruine. Wenn sie nicht alles täuschte, bahnte sich zwischen den beiden eine Romanze an, und sie hätte sich sicher bald eine neue Zofe suchen müssen, wäre sie in Cornwall geblieben. Ein trauriges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, doch Madeline schluckte ihren Kummer herunter und freute sich für das junge Paar.
Auf einmal riss ihr eine unerwartet heftige Windböe die leichte Strohschute aus der Hand und trieb sie über den grasbewachsenen Pfad vor sich her. Madeline sprang auf und versuchte, den Hut zu fangen, bevor er über die Klippe davongeweht wurde – vergebens. An der äußersten Kante der Steilküste innehaltend, konnte sie nur noch zusehen, wie er an der Felswand herunterfiel und in der aufgewühlten See landete.
„Verflixt!“ Sie tat einen Schritt rückwärts und wollte sich umdrehen, als jemand sie plötzlich beim Arm packte. Erschrocken keuchte Madeline auf.
„Madeline! Was zum …?“ Lucien zerrte sie vom Abgrund zurück. Dann hob er sie hoch und hielt sie an sich gedrückt, während er sie mit raschen Schritten vom Rand der Klippe fortbrachte.
Hart hämmerte ihr Herz gegen die Rippen. Nur langsam ließ der Schrecken nach, und sie erfasste, dass Lucien mit ihr sprach. „Madeline“, murmelte er an ihrem Ohr. „Ich dachte, ich hätte dich verloren.“ Er stellte sie auf die Füße und schob sie gerade so weit von sich, dass er ihre Nasenspitze, ihr Kinn, ihre Augenbrauen küssen konnte. „Dem Himmel sei Dank …“ Sein Mund fand ihren, und er küsste sie mit einer Leidenschaft und Zärtlichkeit, als wolle er sie nie mehr gehen lassen. Als habe es den Albtraum der vergangenen Nacht nie gegeben. „Madeline“, sagte er noch einmal, nachdem er den Kuss beendet hatte, und lehnte sich zurück, um ihr in die Augen zu sehen.
Selbst in ihrer Verwirrtheit fiel ihr auf, wie blass er war. „Lucien?“, fragte sie besorgt und berührte seine
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