Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Enzo okay ist. Und wenn dein Vater das sagt, dann muss er auch okay sein. Sprich mit ihm darüber, wenn er wieder da ist.«
Ein beklommenes Gefühl überkam mich, als hätte ich was Dringendes vergessen. Ich trank einen Schluck von meinem Milchkaffee, um meine Verlegenheit zu überspielen.
»Oder frag Enzo selbst«, schlug meine Mutter vor.
»Das habe ich schon«, sagte ich ausweichend und vernachlässigte das kleine Detail, dass ich ihn natürlich nicht gefragt, sondern ihm nur wüste Beschimpfungen an den Kopf geworfen hatte. »Er hat so getan, als wüsste er von nichts. Aber das war nur gespielt«, setzte ich schnell hinzu.
»Na ja. Wie gesagt, frag deinen Vater, bevor du voreilige Schlüsse ziehst.«
Ich musste schlucken. Lukas fiel mir ein. Er hatte Silvy geglaubt, was sie ihm über mich erzählt hatte, ohne mich einmal zu fragen, ob es stimmte. Und ich hatte Philipp auch einfach geglaubt. Und in den Zeitungsartikeln stand zwar, dass Enzo auf seinen Vorgesetzten losgegangen war, aber ehrlicherweise musste ich zugeben, dass über seine Motivation kein Wörtchen zu lesen gewesen war. Und jetzt hatte ich ihn verurteilt, ohne seine Version der Geschichte zu hören. Falls Philipp gelogen hatte, saß ich verdammt in der Klemme, weil ich Enzo als Nazi abgestempelt hatte. Falls er nicht gelogen hatte, saß ich allerdings auch in der Klemme, weil mein Bodyguard dann ein amtlich beglaubigter Schwachkopf war. In diesem Moment wusste ich nicht, was mir lieber wäre: Dass er wirklich ein Neonazi war oder dass ich mir eingestehen musste, einen unverzeihlichen Fehler begangen zu haben. Mist, verdammter. Als hätte ich nicht schon genug Ärger am Hals.
Ich begrüßte Enzo freundlich, als ich ins Auto stieg, aber er antwortete nicht, sondern startete stumm den Wagen. Auch auf dem Weg zur Schule ignorierte er mich komplett. Schaute nicht einmal in den Rückspiegel. Ich schluckte. Ich musste es hinter mich bringen. Es war unangenehm. Wie Brechen, wenn einem schlecht ist. Man will es nicht. Aber danach geht es einem besser. »Ich habe die Zeitungsartikel gelesen«, fing ich an. »Über die Demo. Und dann hatte mir Philipp auf dieser Party gestern erzählt, dass du der Held der Neonazis bist.«
Er sagte nichts.
»Der Barmann von letztens ist ein Kumpel von ihm«, plapperte ich. »Der mit der… Glatze. Und als ich das gehört hatte, war ich natürlich geschockt und sauer.«
Er sagte immer noch nichts. Ich zögerte kurz, dann atmete ich tief ein und fragte: »Enzo, bist du ein Nazi?«
»Das weißt du doch schon«, sagte er knapp. Dann schloss er den Mund und sagte keinen Piep mehr. Alte Schabe. Ich hatte doch nun gerade wirklich versucht, alles geradezurücken. Er sollte sich hier nicht so als Moralapostel aufspielen. Sollte mir einfach die Sache erklären. Beleidigte Leberwurst. Als ich ausstieg, sagte ich: »Bis später dann.«
Ich wartete noch einen Moment, um zu sehen, ob er etwas antwortete, aber er starrte weiter geradeaus und tat so, als ob ich nicht da wäre. Ich schmiss die Tür ins Schloss. Dann schritt ich mit möglichst bedächtigen Schritten auf die Schule zu. Er sollte bloß nicht denken, dass mich sein Verhalten aus der Fassung brachte. Ich hatte jetzt wirklich andere Probleme als einen eingeschnappten Bodyguard. Hinter dem Schultor tat ich so, als würde ich in meiner Tasche kramen, nur um einen klammheimlichen Blick auf ihn zu werfen. Wenn er guckte, würde ich ihm zuwinken. Aber er guckte kein bisschen, denn er war schon in seine Zeitung versunken. Phhh! Dann eben nicht.
Ich versuchte, mich auf die vorliegenden Aufgaben zu konzentrieren. Heute musste ich auf der Hut sein. Gestern hatte ich eine Zündschnur in Brand gesetzt, als ich Nora erzählt hatte, dass ich wegen Pascal von Cappeln zur Polizei gehen wollte. Und sie war gleich abgeschwirrt, um es ihm zu erzählen. Konnte ich mir jedenfalls vorstellen. Ich hatte die Zündschnur in Brand gesetzt, wusste aber leider nicht, wo es heute knallen würde. Und zum ersten Mal bekam ich das Gefühl, dass mir die ganze Sache über den Kopf wuchs. Die Aufklärung eines Mordfalls war eine mathematische Formel mit ein paar Unbekannten zu viel. Und dann hatte ich noch einen verliebten Justus und einen Bodyguard mit zweifelhafter Biografie am Hals, derentwegen mir Pepe gestern durch die Finger geflutscht war. Das war natürlich geradezu fahrlässig gewesen. Pepe. Ich wusste, dass er was wusste. Nur was? Aber ich kam der Lösung näher. Das Netz verdichtete sich. Die
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