Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Titel: Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Dietz
Vom Netzwerk:
keine.
    Die Bedrohung: ein einziger eingebildeter Schwachsinn.
    Ich seufzte vor Erleichterung.
    Die Mädchen um mich herum kicherten. Herr Nowak, der Mathe- und Physiklehrer, räusperte sich: »Nun, Beatrix, das war eine sehr hübsche Darstellung von Kraftübertragung auf eine Flasche. Welche Kräfte waren denn da am Werk?«
    »Die Schwerkraft«, warf Nora beflissen ein.
    »Die Schwerkraft«, bestätigte Nowak nickend. »Und was noch?«
    Keiner sagte was.
    »Der Spieltrieb natürlich«, sagte Nowak schmunzelnd. »Und der ist bei Schülerin Illmann ziemlich ausgeprägt.«
    Beatrix, ein verschmitztes Grinsen im Gesicht, hob die Wasserflasche auf, die neben ihren Füßen lag.
    »Kommen Sie doch mal nach vorne, Beatrix, dann berechnen wir jetzt, bei welchem Neigungswinkel die Schwerkraft dafür sorgt, dass die Flasche von Ihrem Kopf auf den Boden fällt.«
    »Och nöö«, stöhnte Beatrix und schleppte sich an die Tafel.
    Himmel! Ganz dringend musste ich damit aufhören, mir solche Horrorszenarien auszumalen. Meine Fantasie hatte schon immer ein Eigenleben geführt und jetzt war sie völlig außer Rand und Band. Als ich in der Fünf-Minuten-Pause auf die Toilette ging, hatte ich auf einmal das Bild vor Augen, wie Pascal von Cappeln mir auflauerte, um mich hinterrücks zu erschlagen. Ich war froh, als ich mich endlich in die Toilettenkabine eingeschlossen hatte. Bevor ich die Tür wieder öffnete, schaute ich untendrunter her, ob nicht Nora davor Position bezogen hatte, um mich zu erstechen. Geradezu hysterisch! Reiß dich zusammen, Sander, sonst kommen die Männer mit den weißen Kitteln. Ich redete beruhigend auf mich ein. Alles wird gut. Es wird nichts passieren. Heute ist auf keinen Fall der Tag, an dem du stirbst.
    In der letzten Stunde hatte ich mich tatsächlich wieder einigermaßen im Griff, wobei mir unsere Sowi-Lehrerin Ulrike Berger auch tatkräftig half, indem sie mit ihrer monotonen Leierstimme meine wirren Gedankengänge erst lähmte und dann komplett zum Stillstand brachte. Ich konzentrierte mich stattdessen auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten bis Schulschluss. Noch fünfzehn. Zehn, acht, sechs… gleich schellt die Schulglocke und du gehst friedlich nach Hause, sagte ich mir. Und dann lachst du über deine spinnerten Gedanken. Genau, so würde es sein. Derart optimistisch gestimmt, packte ich rechtzeitig Heft, Stifte und Bücher in meine Tasche und starrte startbereit auf die ablaufende Uhr. Ding-dong! Ich stand auf, strebte zur Tür. Doch da klopfte das Schicksal an meine Tür. Pock-pock!

35
    Natascha«, sagte Ulrike Berger. »Warten Sie mal bitte.«
    Ich schluckte. Ich wollte jetzt keine Verzögerungen hinnehmen, die mich am Ende dazu brachten, die Letzte zu sein, die das Klassenzimmer verließ, denn das wusste doch nun wohl jeder Depp, dass es niemals eine gute Idee war, sich alleine in einem Gebäude aufzuhalten, wenn der Mörder hinter einem her war.
    Schwupps, da war sie wieder in ihrem betrügerischen Element, meine Erfindungsgabe.
    »Kommen Sie denn gut mit? Sind Ihnen die Themen, die wir hier besprechen, vertraut?«
    Ich nickte. »Klar, kein Problem.« Ich machte einen Schritt Richtung Tür.
    »Einen Moment noch, bitte.« Sie fing an, mir einen Sermon über Konfliktmanagement zu erzählen, Interventionen einzelner Staaten auf globale Krisensituationen und die Auswirkungen internationaler Konflikte auf die nationale Gesellschaft zum Beispiel in den Teilbereichen Asylpolitik, Einwanderungspolitik, Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik. Dazu blinzelte sie immerzu mit ihrem linken Auge, als ob sie das Ganze selbst für einen Scherz halten würde. Das machte es noch schwerer, ihrem Vortrag zu folgen. Und gerade als ich dachte, sie würde mit ihrem Gelaber endlich aufhören, da schob sie mit ihrer einschläfernden Stimme noch die Frage hinterher, ob ich nicht ein Referat darüber halten wollte, das würde mich auch schneller in die Gemeinschaft und ihren Unterricht integrieren, blablabla. Während dieser ungewollten Unterredung fiel mir auf einmal auf, dass das Klassenzimmer sich schon geleert hatte. Nur Nora war noch da und ließ sich auffallend viel Zeit, um ihren Rucksack zu packen. Umständlich räumte sie ihre Sachen ein und wieder aus und hatte auch noch Zeit, ihre Stifte zu sortieren. In einem Schludermäppchen! Sofort schrillten wieder meine Alarmglocken. Sie wollte mich abpassen, dachte ich. Sie wollte mich nicht aus den Augen lassen. Sie wollte mir eine Falle stellen. Sie war die

Weitere Kostenlose Bücher