Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Blieb noch die kleine Frage, wer das getan hatte. Aber in dem schalldichten Raum, alleine mit einem hochgradig verstörten Mann, der vielleicht meine Klassenkameradin umgebracht hatte, war ich ausnahmsweise schlau genug, diese Frage nicht zu stellen. »Und Nora hat Sie mit der Affäre erpresst?«, fragte ich.
»Nein«, sagte er. »Damit hat sie erst später angefangen. Nach Lauras Tod. Ich hatte keine Ahnung, dass sie von der Affäre wusste. Sie wollte, dass ich ihr die Prüfungsaufgaben gebe, sonst würde sie der Polizei von meiner Beziehung zu Laura erzählen.«
»Jetzt erst?«, fragte ich verblüfft. Aber Nora war schon vor einem halben Jahr auffallend besser geworden in der Schule. »Und vorher haben Sie die Prüfungsaufgaben keinem gegeben?«
»Doch«, sagte er erstaunt. »Laura hatte mich darum gebeten, weil sie meinte, sie hätte sonst wegen der Lernerei keine Zeit für uns. Ihre Eltern waren unheimlich streng. Und da habe ich ihr die Aufgaben gegeben.« Er schluchzte jämmerlich auf. »Und jetzt erpresst mich Nora. Und Laura ist tot. Alles ist so schrecklich. Ich weiß gar nicht mehr, was ich machen soll!« Er tat geradezu so, als hätte er gegen all das nichts tun können. Dieser Waschlappen.
»Gehen Sie zur Polizei«, sagte ich. »Erklären Sie denen alles.«
»Das kann ich nicht. Meine Mutter… die Schule ist ihr Lebenswerk. Alles wäre zerstört.« Er sah mich an. »Niemand darf es erfahren«, sagte er und schaute mich wieder mit diesen flackernden Augen an. »Niemand.« Er kam einen Schritt auf mich zu. Ich wich zurück. Oh Gott. Er war es doch! Er war der Mädchenmörder! Und er würde gleich einen weiteren Mord begehen, um alles weiter zu vertuschen. Warum war ich nicht geflohen, als sich die Gelegenheit geboten hatte? Verdammte Neugier! Ich sah mich um. Überrasche deinen Gegner, hatte Enzo gesagt. Suche dir eine Waffe, egal was. Eine Flasche, einen Aschenbecher, einen Regenschirm, eine zusammengerollte Zeitung und benutze sie. In diesem Musikstudio aber war nichts außer zwei Mikrofonständern, die in einer Ecke standen, an die ich aber nicht herankam. Wenn du nichts hast, benutze deinen Körper. Füße, Hände, Ellbogen, Knie, Zähne, Kopf. Und setze deine Stimme ein. Auch deine Stimme kann eine Waffe sein, hatte Enzo gesagt.
»IIIHHHHHHHH«, kreischte ich, so laut ich konnte. Und ich war mir fast sicher, dass Glas zersprungen wäre, wenn es hier welches gegeben hätte. Pascal von Cappeln verzerrte das Gesicht und hielt sich die Ohren zu, ich drehte mich um, packte die Türklinke, drückte sie, sie war offen, ich wollte sie aufreißen, aber die Tür bewegte sich wie von selbst, als würde sie aufgeschwungen, und ich wollte hinauslaufen, aber ich konnte nicht, denn der Ausgang wurde versperrt. Von der Komplizin von Pascal von Cappeln. Der Direktorin.
»Ahhhh«, schrie ich schon wieder, diesmal vor Schreck.
»Natascha, drehen Sie nicht durch«, sagte Meinhilde von Cappeln streng.
»Sie haben mich erschreckt!«
»Das merke ich.« Sie sagte das, als wäre alles ganz normal. Dass ihr Sohn mich im Studio einsperrte, dass sie mir den Weg abschnitt und mich in die Ecke drängte. Ich wurde langsam sauer. Wenn sie mich umbringen wollten, okay, dann würde ich mich mit Händen und Füßen wehren. Aber vorher würde ich mich von ihnen keinesfalls behandeln lassen wie der letzte Dreck. »Ach so«, sagte ich bissig. »Sie sind ja gewohnt, Angst und Schrecken zu verbreiten.«
»Natascha, ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen zu streiten.«
»Nein, schon klar. Sie wollen mich nur zum Schweigen bringen. Damit ich niemandem die Wahrheit über Ihre ach so anständige Schule voller pflichtbewusster Mädchen und gewissenhafter, professioneller Lehrer erzähle.«
Sie wechselte einen Blick mit ihrem Sohn. »Ja, das wollen wir«, sagte sie und rückte einen Schritt auf mich zu. Sie waren zu zweit, einer vor mir, einer hinter mir. Meinhilde von Cappeln war klein und zäh. Sie wäre schwer zu treffen. Ihr Sohn war muskulös und etwas größer als ich, gegen ihn müsste ich meine Kampfmanöver richten. Aber zunächst lenkte ich sie noch mit Fragen ab. »Und das haben Sie auch schon mit Laura gemacht, nicht wahr?«
»Wie bitte?«, fragte Meinhilde von Cappeln verwirrt.
»Na, Sie haben sie doch umgebracht. Oder war es der Sohnemann allein?«
»Um Gottes willen, Natascha«, sagte die Schuldirektorin und wurde eine Spur blasser. »Sie glauben doch nicht im Ernst…« Ihr Mund stand offen. Sie schien aus allen
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