Gefaehrliche Gefuehle
aus der Einfahrt.
»Mama, guck mal«, krähte das Kind und zeigte mit dem Finger auf mich. »Eine Mumie!«
»Das ist keine Mumie«, murmelte die Mutter. »Das ist nur eine arme Frau.«
»Wieso ist sie arm?«, fragte das Kind. Die Antwort darauf konnte ich nicht mehr hören, weil ich schon an ihnen vorbei war und der Polyesterstoff an meinen Ohren raschelte.
Auf dem Klingelschild standen zwei Boussaidis, aber weil der Inhaber des tunesischen Restaurants Khaled mit Vornamen hieß, konnte ich die untere Wohnung als die von Azizas Eltern identifizieren. Ich klingelte. Der Türsummer ertönte, ich drückte auf und stieg vorsichtig die drei Treppenstufen bis zur Wohnungstür hoch. Dabei musste ich höllisch aufpassen, mich nicht auf die Fresse zu legen. Es war gar nicht so leicht, weil ich erstens nicht gut sehen konnte und zweitens Gefahr lief, auf den Saum der Burka zu treten. Außerdem war mir schon wieder so warm und schwitzig, weil mein Atem die Stoffhülle von innen aufheizte. Die Wohnungstür ging auf. Eine zierliche Frau in Jeans und gestreifter Bluse stand vor mir. Einige wenige weiße Strähnen durchzogen ihr schwarzes Haar. Sie hatte eine Lesebrille in der einen und die FAZ in der anderen Hand.
»Ja, bitte?«, sagte sie freundlich. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Hallo«, sagte ich. Ich war so verblüfft über ihr akzentfreies Deutsch und über ihre völlig normale Erscheinung, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich eigentlich sagen wollte.
»Äh, ich … ich wollte Aziza besuchen«, stammelte ich.
»Und wer sind Sie?«, fragte Azizas Mutter.
»Ich bin Na…«
Oh mein Gott. Ich war so damit beschäftigt gewesen, mich unkenntlich zu machen, dass ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen war, mir einen arabischen Decknamen zu überlegen. Schnell, Deckname – jetzt! Ein Name, der mit Na anfängt. Aber das Einzige, was mir einfiel, war das chemische Element Natrium. Und das war ja nun mal total bescheuert. Aber meinen richtigen Namen konnte ich auch nicht verraten. Ich erlitt eine akute Hirnblockade, während mich Azizas Mutter weiter freundlich anschaute.
»…tischa«, hörte ich mich sagen.
»Natischa?«, wiederholte Azizas Mutter.
Ich war ja so unfassbar blöd. Bei Natischa kam natürlich absolut niemand auf die Idee, dass ich Natascha hieß. Zum Glück sah man mir nicht an, dass ich knallrot wurde, als ich nickte.
»Also, Natischa. Aziza ist leider nicht da.«
»Aber wo ist sie denn?«, fragte ich. »Sie war schon ewig nicht mehr an der Uni.« Obwohl ich schwitzte, fing ich im zugigen Hausflur an zu frieren, weil der eisige Wind die Schweißschicht sofort abkühlte. Und das alles unter zwei Schichten Polyester. Lecker.
»Ist Ihnen kalt?«, fragte Azizas Mutter.
»Ein bisschen«, bibberte ich.
»Kommen Sie erst mal rein.« Sie führte mich in die Küche. »Wollen Sie einen heißen Tee zum Aufwärmen?« Sie zeigte auf eine Kanne, die auf einem Stövchen stand.
»Oh ja, gerne«, sagte ich. Ein Mann kam herein, Halbglatze, Wollpullover, Hemd darunter, Jeans, Pantoffeln.
»Das ist mein Mann«, stellte Azizas Mutter ihn vor. »Das ist Natischa, eine Freundin von Aziza.«
Azizas Vater warf mir, beziehungsweise meinem Outfit, einen erstaunten Blick zu. »Aha«, machte er. »Interessant. Ich wusste nicht, dass Aziza auch … religiöse Freundinnen hat.« Er ging zur Kaffeemaschine, legte ein Kaffeepad ein und zapfte sich einen frischen Kaffee.
»Ich hänge immer noch an der Einleitung«, sagte er zu seiner Frau. »Du musst mir gleich mal helfen.«
»Der Herr Professor schreibt sein erstes Buch«, lächelte Azizas Mutter und stellte mir die Tasse mit dem Tee hin. Ich nahm die Tasse – und hatte plötzlich ein Riesenproblem. Wie sollte ich den denn jetzt bitte schön trinken? Ich hatte einen Vorhang vor dem Mund! Nahm man die Tasse mit ins Zelt? Spätestens jetzt würde jedem auffallen, dass ich keine Ahnung hatte, wie man sich in dem Ding verhielt.
»Sie können ruhig die Burka ablegen«, sagte Azizas Mutter freundlich.
»Ich kann auch aus dem Zimmer gehen, wenn Ihnen das lieber ist«, bot Azizas Vater an.
»Nein danke. Ist schon gut«, sagte ich schnell. »Ich wollte einfach nur wissen, wo Aziza abgeblieben ist. Dann bin ich auch schon wieder weg.« Ich hielt die Tasse einfach fest und benutzte sie als Handwärmer.
»Sie ist mit ihrem Freund weggefahren, um an ihrer Diplomarbeit zu arbeiten«, sagte Azizas Vater.
»Sie wissen das?«, fragte ich verblüfft.
»Ja, natürlich«, sagte die
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