Gefaehrliche Gefuehle
betont, dass ich wüsste, wo sie ist. Die Surfertasche. Natürlich war es totaler Blödsinn gewesen, in seiner Garage mit den Surfsachen zu suchen. Da wäre ja nun wirklich jeder Depp draufgekommen. Wie man gesehen hatte. Nein, es musste ein Versteck sein, das wirklich nur ich kannte.
Meine Mutter saß mit einer Kanne Tee und einem Buch vor dem Kamin. Das war wirklich der beste Platz bei dieser Eiseskälte. Sie schenkte mir eine dampfende Tasse Tee ein, die ich dankbar entgegennahm. Eine Weile hockte ich auf dem Sofa und starrte in das Kaminfeuer. Dann fiel mein Blick auf das Regal mit den alten Fotoalben. Aus einem Impuls heraus nahm ich mir eines mit unseren Kinderbildern. Meine Mutter legte ihr Buch weg und zusammen blätterten wir das Fotoalbum durch. Bilder von Bastians Einschulung, von dem Weihnachtsfest, als ich fünf war. Mein Bruder und ich beim Schlittenfahren am Flohberg, in dicken Klamotten und mit roten Wangen, den Schlitten neben uns. Wie zwei erfolgreiche Entdeckungsreisende sahen wir aus.
»Ich weiß noch«, sagte ich. »Das war wirklich ein toller Winter, da hatten wir echt super Schnee. Für drei Tage jedenfalls!«
Das nächste Bild zeigte Bastian und mich beim Monopoly. Ich hatte einen Verband um das Handgelenk.
»Ach, das weiß ich noch«, erklärte ich meiner Mutter. »Das war an dem Tag, als dieser Freund von Bastian im Eis eingebrochen war und ich in Panik den Damm hochgelaufen war und um Hilfe geschrien …« Ich hielt inne. Plötzlich wusste ich, wo die Tasche war.
16
H eute Morgen war es deutlich wärmer geworden. Auf dem Weg zur Schule regnete es und das Eis, das die Pfützen am Straßenrand bedeckte, verwandelte sich langsam in Matsch. Vielleicht lag es an dem radikalen Wetterumschwung, dass ein massives Stimmungstief über der Klasse lag. Schon in den ersten beiden Stunden Englisch waren alle gereizt. Heidrun Zumke giftete Deborah an, die es gewagt hatte, ihren Schwafelanfall über Tennessee Williams mit dem Hinweis zu unterbrechen, der Titel Endstation Sehnsucht würde im Original nicht A Streetcar Named Desiré heißen, sondern A Streetcar Named Desire.
»Entschuldige, dass mein Vater kein Amerikaner ist«, zischte Heidrun pikiert und zupfte an ihrem geflochtenen rot-weißen Strickstirnband, das wie eine wollene Mettwurst ihren Kopf umrahmte.
In der Pause geriet dann Nevaeh-wie-Heaven-nur-rückwärts ins Zentrum der Aufmerksamkeit, weil Jennifer und Kim es für angebracht hielten, sich über ihre ewige Schwärmerei für Kerem aus der städtischen Gesamtschule lustig zu machen, der sie noch nie beachtet hatte, um sich kurz danach selbst gegenseitig in die Wolle zu kriegen über die Frage, wer denn den besser aussehenden Partner zum Ball mitbringen würde. »An deiner Stelle würde ich mir lieber mal Gedanken darüber machen, überhaupt einen Partner zu finden«, sagte Jennifer.
»Du hast doch selbst noch keinen«, zischte Kim.
»Aber klar habe ich einen«, verkündete Jennifer triumphierend.
»Ach ja, wen denn?«
»Das wirst du früh genug herausfinden.«
Der nächste Streit brach dann im Sportunterricht aus. Unsere Lehrerin war der wahnwitzigen Idee verfallen, dass wir jeweils in Dreiergruppen eine kleine Hip-Hop-Choreografie kreieren sollten. »Schon wieder Hip-Hop?«, stöhnte Irina.
»Ich habe immer noch Muskelkater vom letzten Mal«, maulte Kim.
»Nach einer Woche?«, lächelte Astrid Lutz. »Mädchen, du musst dich mehr bewegen.« Sie stellte die Musik an, klatschte in die Hände und teilte uns ein. Da Kim neben Coco und Jennifer stand, wurden die drei eine Gruppe. Ich zog mit Irina und Diana und unserem CD-Spieler in die Ecke der Halle neben ihnen. Irina holte ihr Smartphone raus und suchte auf YouTube nach einem Clip, an dem wir uns ein Beispiel nehmen konnten.
»Guckt mal hier, das sieht doch gut aus«, sagte Irina gerade, als Jennifer nebenan laut vernehmlich kommandierte: »Wir fangen so an, das ist cool!« Sie stand kerzengerade mit geschlossenen Beinen und vor der Brust zusammengelegten Händen.
»Das sieht aus, als ob du Yoga machen wolltest«, protestierte Kim.
»Dann mach einen besseren Vorschlag«, geiferte Jennifer.
»Alles ist besser als das«, sagte Kim.
»Du hast keinen anderen Vorschlag, also machen wir es so, wie ich es gesagt habe.«
»Wer hat dich eigentlich zur Chefin gemacht?« Kim guckte sie verächtlich an. »Seit Milena weg ist, tust du so, als ob du der Boss wärst. Das ist lächerlich.«
Coco stand daneben und gähnte.
»Coco, sag
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