Gefaehrliche Gefuehle
verhindern, dass Enzo und ich uns sehen!«, rief ich aufgebracht.
»Doch, das können wir«, sagte mein Vater ruhig.
»Das ist so was von gemein von euch.« Ich warf meine Serviette auf den Tisch und rauschte wutentbrannt ab.
»Natascha …«, rief meine Mutter mir hinterher, aber ich lief einfach weiter. In meinem Zimmer wählte ich mit zitternden Fingern Enzos Nummer und hoffte, dass ich ihn in einer ruhigen Minute erwischte. Wir hatten seit Mittwoch nicht mehr miteinander geredet und es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Und tatsächlich ging er ran. »Hallo«, sagte er. Es klang verhalten.
»Endlich!«, rief ich. »Zum Glück erreiche ich dich.«
Er schwieg und deswegen plapperte ich gleich weiter: »Es tut mir so leid, Enzo. Wie es gelaufen ist. Und das mit deinem Job. Und alles.«
»Ja, mir auch«, sagte er.
»Ich hätte es meinen Eltern einfach erzählen müssen! Und zwar sofort, als du es wolltest. Du kannst ja gar nichts dafür, das habe ich denen auch gesagt. Ich habe gesagt, dass es alles meine Schuld ist.«
»Wie haben es deine Eltern eigentlich erfahren?«
»Justus«, sagte ich. »Er war der Einzige, der von uns gewusst hatte. Und er hat diese Kamera, mit der man Bilder im Dunkeln machen kann, und er war sauer gewesen, weil … ach, eigentlich ist doch alles meine Schuld. Wenn ich nur auf dich gehört hätte!«
Er antwortete nicht.
»Bist du sauer auf mich?«
»Nein, ich bin sauer auf mich. Dass ich so unprofessionell war. Dass ich es zugelassen habe, dass wir so weitergemacht haben.«
Durch meinen Magen galoppierte eine Herde Bisons.
»Was soll das heißen?«, fragte ich.
»Das soll heißen, dass ich eine Menge Ärger bekommen habe. Mein Chef ist total sauer auf mich, dein Vater auch. Verständlicherweise.«
»Und was bedeutet das jetzt …« Mir blieb fast die Stimme weg vor Aufregung. »Für uns?«
»Ach, Natascha«, seufzte er. Die Bisons stampften durch meine Eingeweide auf und ab. »Ich wünschte, es wäre alles einfach«, sagte er. »Ich möchte mit dir zusammen sein, aber ich weiß nicht, wie. Es ist so kompliziert.«
»Es ist überhaupt nicht kompliziert«, widersprach ich ärgerlich. »Wenn man will, dann geht es.« Mir kam ein furchtbarer Gedanke. »Oder willst du etwa nicht mit mir zusammen sein?«
»Doch«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Ich weiß nur nicht, wie das gehen soll.«
»Ich werde dir zeigen, wie das gehen soll«, sagte ich. »Wir bleiben einfach zusammen. Scheiß drauf, was die anderen sagen.«
Er lachte. Immerhin!
Ich konnte förmlich sehen, wie er den Kopf schüttelte, als er sagte: »Unmöglich, dieses Mädchen.«
Wir plauderten noch eine ganze Weile. Er erzählte mir, was bei der Arbeit vorgefallen war und dass sein Chef ihm eine letzte Chance eingeräumt hatte, die er auf gar keinen Fall vermasseln dürfte. Als er mich fragte, wie es denn bei Familie Boussaidi gelaufen war, da sagte ich ihm, Bastian hätte sich gemeldet und es wäre schon fast alles geklärt, ich müsste nur eine Kleinigkeit erledigen, dann käme er wieder nach Hause. Ich hatte nicht vor, Enzo weiter mit meinen Problemen auf die Nerven zu gehen. Wenn er das Wort Russenmafia hören würde, würde er ausflippen. Ich würde die Tasche finden, sie Philipp geben, das Kapitel abschließen. Kein Natascha-Chaos für Enzo. Ich erledigte meine Angelegenheit selbst. Dann hätte er auch keinen Grund zu sagen, mit mir wäre es kompliziert.
Als ich aufgelegt hatte, nahm ich meinen Folienstift und schrieb entschlossen auf meine Memo-Tafel Surfertasche, dann ging ich noch mal in Bastis Zimmer. Meine Mutter hatte aufgeräumt. Eine Surfertasche fand ich nirgendwo, nicht unter dem Bett, nicht im oder auf dem Kleiderschrank, nicht in seinem Badezimmer. Ich fragte meine Mutter, ob sie die Tasche irgendwo gesehen hatte. »Nein«, sagte sie. Hatte sie nicht. Verdammt. Bastian war so sicher gewesen, dass ich wüsste, wo sie ist! Aber irgendwie stand ich auf dem Schlauch.
Justus, dachte ich. Er könnte mir bestimmt helfen. Ich spielte eine Zeit lang mit dem Telefon herum. Ich wusste nicht genau, wie ich darauf reagieren sollte, dass er mich verraten hatte. Einerseits war das natürlich ziemlich gemein von ihm gewesen. Andererseits konnte ich ihn auch verstehen. Schließlich hatte ich ihm das Herz gebrochen. Wir würden beide darüber hinwegkommen müssen, wenn wir als Freunde noch eine Chance haben wollten. Vielleicht wäre es das Beste, sich den Teil mit den gegenseitigen Vorwürfen zu sparen und einfach
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