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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Bürobriefumschlag. »Nehmen Sie das einfach, und sagen Sie nichts. Ich weiß, daß jemand Sie dazu angestiftet hat, und ich möchte die Sache gern gütlich regeln. Kein Wort über das, was vorgefallen ist. Ihnen ist heute nichts Besonderes widerfahren, und Sie haben mich nie gesehen. Verstanden? Sollte ich je erfahren, daß Sie etwas darüber erwähnt haben, können Sie sich darauf verlassen, daß ich Sie ausfindig mache und die Sache auf meine Art erledige. Deswegen würde ich Sie bitten zu vergessen, daß Sie ihr gefolgt sind. Wir möchten sicher beide jede Unannehmlichkeit vermeiden. Richtig?«
    Mit diesen Worten legte der Mann das Kuvert vor mich auf den Tisch und stand auf. Er nahm den Kassenbon an sich, zahlte und verließ mit festen Schritten das Café. Wie vor den Kopf geschlagen blieb ich sitzen. Schließlich nahm ich das Kuvert und sah hinein. Es enthielt zehn Zehntausend-Yen-Scheine. Knisternde, druckfrische Zehntausend-Yen-Scheine. Mein Mund war aus gedörrt. Ich steckte den Umschlag in die Tasche und ging. Draußen sah ich mich um und vergewisserte mich, daß der Mann nicht mehr da war, dann winkte ich ein Taxi heran und fuhr zurück nach Shibuya, wo dieses mißglückte Abenteuer angefangen hatte.
    Jahre später besaß ich diesen Umschlag mit dem Geld noch immer. Ohne ihn je wieder zu öffnen, hatte ich ihn in eine Schublade meines Schreibtischs gelegt. Manchmal, wenn ich nachts nicht schlafen konnte, erschien mir das Gesicht des Mannes. Wie ein unglückliches Vorzeichen von irgend etwas kam mir sein Gesicht deutlich in den Sinn. Wer zum Teufel war er eigentlich? Und war diese Frau wirklich Shimamoto gewesen?
    Ich verfiel auf eine ganze Reihe von Theorien. Es war ein Rätsel ohne Lösung. Eine Hypothese nach der anderen stellte ich auf, nur um sie gleich wieder über den Haufen zu werfen. Die noch am ehesten überzeugende Erklärung lautete, daß dieser Mann der Liebhaber der Frau war und daß er mich für einen Privatdetektiv gehalten hatte, der sie im Auftrag ihres Ehemanns beobachten sollte. Und der Mann hatte geglaubt, er könne mit seinem Geld mein Schweigen erkaufen. Vielleicht meinten die beiden, ich hätte sie aus einem Hotel kommen sehen, in dem sie sich getroffen hatten. Das klang einleuchtend. Trotzdem sagte mir mein Gefühl, daß das nicht stimmte. Zu viele Fragen blieben unbeantwortet.
    Er hatte gesagt, wenn er wolle, könne er mir diverse Dinge antun - aber was für Dinge hatte er gemeint? Wie war es ihm gelungen, mich so überraschend beim Arm zu packen? Wenn die Frau gewußt hatte, daß ich sie verfolgte, warum war sie nicht gleich in ein Taxi eingestiegen? Sie hätte mich in einer Minute abschütteln können. Und warum hatte mir der Mann, ohne wirklich zu wissen, wer ich war, einen Umschlag mit so viel Geld hingeworfen?
    Es war und blieb ein Rätsel. Manchmal sagte ich mir, es müsse alles nur eine Einbildung gewesen sein, etwas, das ich mir von Anfang bis Ende zusammenphantasiert hatte. Oder vielleicht auch ein sehr langer realistischer Traum, den ich für Wirklichkeit gehalten hatte. Aber es war wirklich passiert. In meiner Schublade lag ein weißer Umschlag mit zehn Zehn tausend-Yen-Scheinen - der Beweis, daß es kein Traum gewesen war. Es ist wirklich passiert. Manchmal legte ich den Umschlag auf meinen Schreibtisch und starrte ihn an. Es ist wirklich passiert.

7
    Ich heiratete, als ich dreißig war. Ich lernte meine Frau während eines Sommerurlaubs kennen, den ich allein verbrachte. Sie war fünf Jahre jünger als ich. Eines Tages ging ich eine Landstraße entlang, als es plötzlich zu regnen begann. Bei der nächsten Gelegenheit stellte ich mich unter, und da standen schon sie und ihre Freundin. Alle drei waren wir bis auf die Haut durchnäßt, und während wir darauf warteten, daß der Regen nachließ, kamen wir bald ins Gespräch. Wenn es nicht zu regnen begonnen hätte - oder wenn ich einen Schirm dabeigehabt hätte (was durchaus möglich gewesen wäre, denn ich hatte es ernsthaft erwogen, bevor ich das Hotel verließ) -, dann hätte ich sie nie kennengelernt. Und wenn ich sie nicht kennengelernt hätte, dann würde ich jetzt noch immer im Schulbuchverlag schuften, noch immer halbe Nächte lang allein in meiner Wohnung herumsitzen, den Rücken gegen die Wand gelehnt, trinken und wirre Selbstgespräche führen. Daran wird mir einmal wieder so recht bewußt, wie wenig man doch Herr seines Schicksals ist.
    Yukiko und ich fühlten uns von Anfang an zueinander hingezogen. Ihre

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