Gefährliche Geliebte
sie es war. Ich hatte bemerkt, daß eine auffällig schöne Frau hereingekommen war, aber das war auch alles. Ein neuer Gast; ich nahm es automatisch zur Kenntnis. Wenn ich sie schon vorher einmal gesehen hätte, dann hätte ich mich bestimmt an sie erinnert - so einmalig war sie. Bald würde derjenige auftauchen, auf den sie wartete, nahm ich an. Obwohl wir durchaus weibliche Gäste ohne Begleitung sahen. Manche Frauen scheinen zu erwarten, daß Männer sich an sie heranmachen; andere scheinen das eher zu hoffen. Ich konnte immer erkennen, zu welcher der beiden Kategorien eine Frau gehörte. Aber eine so schöne Frau wie diese wäre nie allein in eine Bar gegangen. Sie würde sich über Annäherungsversuche nicht freuen, sondern sie nur als Belästigung empfinden.
Deswegen achtete ich nicht sehr auf sie. Sicher, als sie hereingekommen war, hatte ich sie mir schon angesehen, und von Zeit zu Zeit warf ich einen kurzen Blick in ihre Richtung. Sie trug nur einen Hauch von Make-up, und ihre Kleidung sah sündhaft teuer aus - ein blaues Seidenkleid, dazu eine cremefarbene Kaschmir-Jacke, eine Strickjacke, so hauchzart wie eine Zwiebelhaut. Und vor ihr auf der Theke lag eine Handtasche, genau passend zu dem Kleid. Ihr Alter konnte ich nicht schätzen. Genau das richtige Alter - mehr hätte ich nicht sagen können.
Sie war atemberaubend schön, aber für einen Filmstar oder ein Model hielt ich sie nicht. Zwar hatte ich durchaus Gäste aus dieser Szene, aber man sah ihnen stets an, daß sie sich unablässig ihrer Publikumswirksamkeit bewußt waren - die unerträgliche Wichtigkeit ihres Seins umgab sie wie eine Blase. Diese Frau war anders. Sie war vollkommen entspannt, absolut im Einklang mit ihrer Umgebung. Die Ellbogen auf die Theke, das Kinn in die Hände gestützt, lauschte sie hingegeben der Musik des Klaviertrios und sog dabei an ihrem Trinkhalm, als koste sie eine besonders gelungene Phrase aus. Alle paar Minuten warf sie einen Blick in meine Richtung. Ich konnte ihn spüren, wie eine Berührung. Obwohl ich mir sicher war, daß sie mich nicht eigentlich ansah.
Ich war in meiner üblichen Arbeitskleidung - Anzug von Luciano Soprani, Hemd und Krawatte von Armani, Schuhe von Rossetti. Ob Sie's glauben oder nicht, ich gehörte nicht zu denen, die sich um ihre Kleidung groß Gedanken machen. Meine Grundregel war, nicht mehr als das unbedingt Notwendige dafür auszugeben. In meiner Freizeit war ich mit Jeans und einem Pullover vollauf zufrieden. Aber was das Geschäft anging, so hatte ich meine eigene kleine Philosophie: Ich kleidete mich so, wie ich mir meine Gäste wünschte. Wie ich bald merkte, erreichte ich dadurch, daß sich das Personal genau das entscheidende bißchen mehr ins Zeug legte und die besondere, gehobene Atmosphäre zustande kam, die ich anstrebte. So hatte ich es mir zur unumstößlichen Regel gemacht, wann immer ich in die Bar ging, einen guten Anzug und Schlips zu tragen.
Da saß ich also, achtete darauf, daß die Cocktails richtig gemixt wurden, behielt diskret die Gäste im Auge und hörte dem Klaviertrio zu. Anfangs war in der Bar recht viel los gewesen, aber nach neun fing es an zu regnen, und die Zahl der Gäste ging allmählich zurück. Gegen zehn waren nur noch ein paar Tische besetzt. Doch die Frau an der Theke saß noch immer da, allein mit ihren Daiquiris. Das machte mich jetzt etwas neugieriger. Vielleicht erwartete sie doch niemanden. Sie hatte nicht ein einziges Mal auf ihre Uhr oder zur Tür gesehen.
Endlich hob sie ihre Tasche auf und stieg von ihrem Barhocker herunter. Es war fast elf; wenn man die letzte U -Bahn noch erwischen wollte, war es jetzt Zeit, sich auf den Weg zu machen. Aber sie kam langsam, wunderbar lässig, zu mir herüber und setzte sich auf den Barhocker neben mich. Ich nahm einen Hauch von Parfüm wahr. Sobald sie saß, holte sie eine Schachtel Salem aus ihrer Handtasche und steckte sich eine zwischen die Lippen.
»Was für eine schöne Bar«, sagte sie zu mir.
Ich schaute von dem Buch auf, in dem ich gelesen hatte, und sah sie begriffsstutzig an. In diesem Augenblick traf mich etwas wie ein Schlag. Als laste mir die Luft mit einemmal tonnenschwer auf der Brust.
»Danke«, sagte ich. Sie mußte bemerkt haben, daß ich der Eigentümer war. »Es freut mich, daß sie Ihnen gefällt.«
»Ja, sehr.« Sie sah mir tief in die Augen und lächelte. Ein wunderschönes Lächeln. Ihre Lippen zogen sich in die Breite, und in ihren Augenwinkeln bildeten sich feine, reizende
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