Gefährliche Geliebte
Sie sind ungehobelt und egoistisch. Und sie haben nichts anderes im Sinn, als einem Mädchen die Hand unter den Rock zu stecken. Ich war so enttäuscht von ihnen. Ich wollte das, was zwischen dir und mir bestanden hatte.«
»Schon, aber mit sechzehn war ich auch nicht anders: ungehobelt, egoistisch und ständig darauf aus, Mädchen die Hand unter den Rock zu stecken. So hätte mein damaliger Steckbrief lauten können.«
»Dann war es wohl gut, daß ich dich damals nicht kannte«, sagte sie und lächelte. »Sich mit Zwölf Lebwohl sagen, sich mit Siebenunddreißig wiederbegegnen ... vielleicht war es für uns doch so am besten.«
»Da habe ich meine Zweifel.«
»Jetzt schaffst du es aber doch, auch an ein paar andere Dinge zu denken und nicht nur daran, was Mädchen unter dem Rock haben, oder?«
»An ein paar andere Dinge schon«, sagte ich. »Aber wenn dir das Sorgen bereitet, solltest du das nächste Mal vielleicht besser in Hosen kommen.«
Shimamoto fixierte ihre Hände, die flach auf dem Tisch lagen, und lachte. Sie trug keinen Ring. Ein Armband und eine Uhr - jedesmal, wenn wir uns sahen, eine andere. Und Ohrringe. Aber nie einen Ring.
»Ich wollte keinem Jungen zur Last fallen«, fuhr sie fort. »Du weißt schon, was ich meine. Es gab so viele Dinge, die ich nicht tun konnte. Zu Picknicks gehen, schwimmen, Ski laufen, Schlittschuh laufen, in der Disco tanzen. Das bloße Gehen fiel mir schon schwer genug. Eigentlich konnte ich nur mit jemandem zusammensitzen, reden und Musik hören, und das wurde Jungen in dem Alter schnell langweilig. Und ich nahm das sehr übel.«
Sie trank Perrier mit einem Scheibchen Zitrone. Es war ein warmer Nachmittag Mitte März. Manche der jungen Leute, die draußen auf der Straße vorüberschlenderten, trugen schon kurzärmlige Hemden.
»Wenn ich damals mit dir ausgegangen wäre, wäre ich dir früher oder später zur Last gefallen. Du hättest bald von mir genug gehabt. Du hättest mehr unternehmen wollen, dich kopfüber in die weite Welt dort draußen stürzen wollen. Und ich hätte das nicht ertragen.«
»Shimamoto-san«, sagte ich, »das ist unmöglich. Ich wäre dir gegenüber nie ungeduldig geworden. Wir hatten etwas ganz Besonderes, das uns verband. Ich kann's nicht in Worte fassen, aber es ist so. Etwas Besonderes, Kostbares.«
Sie sah mich aufmerksam an, ohne daß sich ihr Gesicht veränderte. »Ich bin als Mensch nichts Besonderes«, fuhr ich fort. »Ich mache nicht viel her. Ich war ziemlich grob, unsensibel und arrogant. Insofern wäre ich vielleicht wirklich nicht der Richtige für dich gewesen. Aber eines weiß ich sicher: Ich hätte niemals genug von dir gehabt. Das zumindest unterscheidet mich von anderen, die du damals kanntest. In diesem Sinne bin ich tatsächlich jemand Besonderes für dich.«
Wieder senkte Shimamoto den Blick auf ihre Hände. Sie spreizte die Finger auf der Tischplatte ein wenig, wie um sich zu vergewissern, daß sie noch alle da waren.
»Hajime«, sagte sie dann, »die traurige Wahrheit ist die, daß bestimmte Dinge nicht rückgängig zu machen sind. Haben sie sich erst einmal in Bewegung gesetzt, kann man tun, was man will, aber sie werden nie wieder zu dem, was sie einmal waren. Wenn nur eine winzige Kleinigkeit schiefgeht, dann bleibt es für immer so.« Einmal rief sie an, um mich zu einem Liszt-Konzert einzuladen. Der Solist war ein berühmter südamerikanischer Pianist. Ich nahm mir den Abend frei und fuhr mit ihr zur Konzerthalle im Uedo-Park. Die Aufführung war glanzvoll. Der Solist war technisch grandios, die Musik zugleich filigran und tiefgründig, und der Pianist legte, für alle spürbar, seine ganze Leidenschaft in sein Spiel. Und doch, obwohl ich die Augen schloß, riß mich die Musik nicht mit. Zwischen mir und dem Pianisten blieb ein dünner Vorhang, und wie sehr ich mich auch bemühte, ich schaffte es nicht, auf die andere Seite zu gelangen. Als ich nach dem Konzert mit Shimamoto darüber sprach, bestätigte sie meinen Eindruck.
»Aber was stimmte dann mit dem Konzert nicht« fragte sie. »Ich fand es herrlich.«
»Erinnerst du dich nicht?« sagte ich. »Die Platte, die wir damals immer hörten - am Ende des zweiten Satzes war doch so ein winziger Kratzer zu hören: K-tschck! K-tschck! Irgendwie komme ich ohne diesen Kratzer in diese Musik einfach nicht rein.«
Shimamoto lachte. »Das würde ich ja nicht gerade Kunstverstand nennen.«
»Mit Kunst hat das auch nichts zu tun. Die Kunst kann von mir aus der
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