Gefaehrliche Liebe
herausfinden oder dabei helfen, das Kapitol zu stürzen. Stattdessen sitze ich da, stopfe Käsebrötchen in mich hinein und schaue Peeta beim Zeichnen zu. Hin und wieder kommt Haymitch vorbei und bringt Neuigkeiten aus der Stadt, immer schlechte. Noch mehr Menschen, die bestraft werden oder vor Hunger umfallen.
Der Winter ist allmählich auf dem Rückzug, als mein Fuß wieder einsatzfähig ist. Meine Mutter verordnet mir Übungen und ich darf schon ein bisschen allein laufen. Eines Nachts nehme ich mir beim Schlafengehen fest vor, am nächsten Morgen in die Stadt zu gehen, doch als ich aufwache, grinsen mich Venia, Octavia und Flavius an.
»Überraschung!«, kreischen sie. »Wir sind früher gekommen!«
Nach dem Peitschenschlag hatte Haymitch ihren Besuch bei mir um einige Monate verschoben, damit die Wunde verheilen konnte. Ich hatte frühestens in drei Wochen mit ihnen gerechnet. Aber ich tue so, als freute ich mich darüber, dass endlich das Fotoshooting für die Hochzeit stattfindet. Meine Mutter hat alle Kleider aufgehängt, sie sind also einsatzbereit, aber ehrlich gesagt, habe ich bisher noch kein einziges anprobiert.
Nach dem üblichen Gezeter über mein desolates Außeres machen die drei sich sofort an die Arbeit. Ihr Augenmerk gilt vor allem meinem Gesicht, obwohl ich finde, dass meine Mutter es ganz gut hinbekommen hat. Nur einen blassrosa Streifen habe ich noch über dem Wangenknochen. Nicht alle wissen von dem Peitschenschlag, also erzähle ich ihnen, ich sei auf dem Eis ausgerutscht und hätte mir die Wange aufgeratscht. Da wird mir bewusst, dass ich dieselbe Ausrede für die Fußverletzung benutzt habe, wegen der mir die hohen Absätze Probleme bereiten werden. Aber Flavius, Octavia und Venia sind von Natur aus gutgläubig, ich bin also auf der sicheren Seite.
Da ich nicht mehrere Wochen, sondern nur einige Stunden lang ohne Körperbehaarung sein muss, benutzen sie kein Wachs, sondern den Rasierer. Trotzdem muss ich in eine Wanne mit irgendeinem Zeug steigen, aber wenigstens stinkt es nicht, und ehe ich michs versehe, sind schon meine Frisur und mein Make-up dran. Wie immer haben sich die drei lauter Neuigkeiten zu erzählen, die ich versuche auszublenden. Aber dann macht Octavia eine Bemerkung, die mich aufhorchen lässt. Sie habe für eine Party keine Garnelen bekommen können, sagt sie, eigentlich nur nebenbei, trotzdem verblüfft es mich.
»Wieso konntest du keine Garnelen bekommen? Gibt es die zu dieser Jahreszeit nicht?«, frage ich.
»Ach, Katniss, schon seit Wochen sind keine Meeresfrüchte zu haben!«, sagt Octavia. »Weil das Wetter in Distrikt 4 so schlecht ist, weißt du.«
Mir schwirrt der Kopf. Keine Meeresfrüchte. Seit Wochen. Aus Distrikt 4. Die kaum verhohlene Wut der Menge während der Tour der Sieger. Und auf einmal bin ich mir ganz sicher, dass es in Distrikt 4 einen Aufstand gegeben hat.
Beiläufig frage ich, welche Härten dieser Winter noch mit sich gebracht hat. Sie sind es nicht gewohnt, auf etwas zu verzichten, deshalb ist es für sie schon bemerkenswert, wenn einmal etwas nicht zu haben ist. Bis ich bereit zum Ankleiden bin, haben sie mir so viel von den Schwierigkeiten vorgejammert, bestimmte Sachen zu bekommen - von Krebsfleisch über Musikchips bis hin zu Bändern -, dass ich mir ausrechnen kann, welche Distrikte sich möglicherweise im Aufstand befinden. Meeresfrüchte aus Distrikt 4. Elektrogeräte aus Distrikt 3. Und natürlich Stoffe aus Distrikt 8. Der Gedanke an eine Rebellion von solchem Ausmaß lässt mich schaudern vor Angst und Erregung.
Ich würde gern noch mehr Fragen stellen, aber da kommt Cinna, umarmt mich und begutachtet mein Make-up. Sofort fällt sein Blick auf die Narbe. Ich habe das Gefühl, dass er mir die Glatteis-Geschichte nicht so ganz abkauft, aber er sagt nichts dazu. Er pudert mein Gesicht noch ein wenig nach, und das bisschen, was man von dem Striemen noch sehen kann, verschwindet.
Unten ist das Wohnzimmer ausgeräumt und für die Aufnahmen ausgeleuchtet worden. Effie gefällt sich darin, alle herumzukommandieren und darauf zu achten, dass wir im Zeitplan bleiben. Das ist wohl auch gut so, denn es gibt sechs Brautkleider und auf jedes Kleid muss alles andere abgestimmt werden: Kopfbedeckung, Schuhe, Schmuck, Frisur, Make-up, Kulisse und Beleuchtung. Cremefarbene Spitze, rosa Rosen und Ringellocken. Elfenbeinfarbener Satin, Goldtattoos und grüne Blätter. Diamantenkleid, Juwelenschleier und Mondschein. Schwere weiße Seide, Ärmel
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