Gefaehrliche Liebe
fünfundzwanzig Jahre ein Jubel-Jubiläum gefeiert werden solle. Dann sollte es eine großartigere Version der Spiele geben, um die Erinnerung an jene aufzufrischen, die in den Aufständen der Distrikte getötet worden waren.
Deutlicher könnten seine Worte nicht sein, denn ich nehme an, dass sich mehrere Distrikte gerade im Aufstand befinden.
Dann erzählt Präsident Snow uns von den vergangenen Jubel-Jubiläen. »Am fünfundzwanzigsten Jahrestag, als Erinnerung für die Rebellen daran, dass ihre Kinder sterben mussten, weil sie den Weg der Gewalt beschritten hatten, wurde in jedem Distrikt eine Wahl abgehalten, in der darüber entschieden wurde, welche Tribute den jeweiligen Distrikt vertreten sollten.«
Ich frage mich, was für ein Gefühl das gewesen sein muss.
Die jungen Menschen auszusuchen, die gehen müssen. Von den eigenen Nachbarn ausgeliefert zu werden, das muss noch schlimmer sein, als wenn man bei der Ernte ausgelost wird.
»Beim fünfzigsten Jubiläum«, fährt der Präsident fort, »musste jeder Distrikt, als Erinnerung daran, dass für jeden Bewohner des Kapitols zwei Rebellen starben, doppelt so viele Tribute entsenden.«
Ich stelle mir vor, ich hätte es mit siebenundvierzig statt mit dreiundzwanzig Gegnern zu tun. Schlechtere Chancen, weniger Hoffnung und am Ende noch mehr Tote. Das war das Jahr, in dem Haymitch gewonnen hat ...
»Ich hatte eine Freundin, die in dem Jahr gehen musste«, sagt meine Mutter leise. »Maysilee Donner. Ihre Eltern waren die Besitzer des Süßwarengeschäfts. Sie haben mir danach ihren Singvogel geschenkt. Einen Kanarienvogel.«
Prim und ich tauschen einen Blick. Es ist das erste Mal, dass wir von Maysilee Donner hören. Vielleicht, weil meine Mutter wusste, dass wir würden erfahren wollen, wie sie gestorben ist.
»Und jetzt begehen wir in allen Ehren das dritte Jubel-Jubiläum«, sagt der Präsident. Der kleine, weiß gekleidete Junge tritt vor, hält dem Präsidenten den Kasten hin und hebt den Deckel hoch. Wir sehen lauter vergilbte Briefumschläge in ordentlichen Reihen. Die, die sich das Prinzip des Jubel-Jubiläums ausgedacht haben, waren davon ausgegangen, dass die Hungerspiele ewig währen würden. Der Präsident nimmt einen Umschlag aus dem Kasten, auf dem deutlich eine »75« zu lesen ist. Er fährt mit dem Finger unter die Lasche und zieht eine kleine Karte heraus. Ohne zu zögern, liest er: »Am fünfündsiebzigsten Jahrestag werden als Erinnerung für die Rebellen daran, dass nicht einmal die Stärksten unter ihnen die Macht des Kapitols überwinden können, die männlichen und weiblichen Tribute aus dem bestehenden Kreis der Sieger ausgelost.«
Meine Mutter stößt einen leisen Schrei aus, und Prim verbirgt das Gesicht in den Händen, doch ich komme mir eher so vor wie jemand aus dem Publikum, das ich im Fernsehen sehe. Leicht verdattert. Was soll das heißen? Der bestehende Kreis der Sieger?
Dann begreife ich, was es heißt. Jedenfalls für mich. Distrikt 12 hat nur drei Sieger, aus denen man auswählen kann. Zwei männlich. Einer weiblich ...
Ich muss wieder in die Arena.
13
Mein Körper reagiert schneller als mein Verstand, und ich renne zur Tür hinaus, über den Rasen in die Dunkelheit hinter dem Dorf der Sieger. Vom Wasser des durchweichten Bodens werden meine Strümpfe nass und ich spüre den schneidenden Wind, doch ich bleibe nicht stehen. Wohin? Wohin soll ich laufen? In den Wald natürlich. Ich bin schon am Zaun, als das Summen mich daran erinnert, wie sehr ich in der Falle sitze. Keuchend weiche ich zurück, mache auf dem Absatz kehrt und renne wieder los.
Kurz darauf befinde ich mich auf Händen und Knien im Keller eines der unbewohnten Häuser im Dorf der Sieger. Durch die Kellerschächte über mir scheinen schwache Streifen von Mondlicht herein. Mir ist kalt, ich bin nass und erschöpft, doch mein Fluchtversuch hat die Hysterie, die in mir aufsteigt, kein bisschen gedämpft. Wenn sie nicht herauskann, werde ich daran ersticken. Ich knülle mein T-Shirt vor der Brust zusammen, stopfe es mir in den Mund und schreie los. Ich weiß nicht, wie lange das so geht. Doch als ich aufhöre, habe ich fast keine Stimme mehr.
Auf der Seite zusammengekauert liege ich da und starre auf die Flecken des Mondlichts auf dem Zementboden. Zurück in die Arena. Zurück an den Ort der Albträume. Dort soll ich hin. Ich muss zugeben, dass ich das nicht habe kommen sehen.
Ich habe vieles andere gesehen. Wie ich öffentlich gedemütigt, gefoltert
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