Gefährliche Liebe unter dem Hakenkreuz (Junge Liebe) (German Edition)
Decke und durch das geöffnete Fenster drangen die ersten Geräusche des neuen Tages zu ihm herein. Er hielt die Augen geschlossen und lauschte. Seine rechte Hand kam unter der Bettdecke hervor und tastete nach der kleinen Lampe, die auf dem Nachttisch stand. Statt dieser fand sie das Buch, das wie immer auf seinem Nachttisch lag. Im Laufe der Jahre hatte er jede Erhebung auf dem Einband auswendig gelernt. Es war ihm, als ob er mit der Berührung des alten Leders die Verbindung zu Heinrich aufrechterhalten konnte. Er war nie nachgekommen. Sie hatten sich noch eine ganze Zeitlang geschrieben. Sein Freund hatte nach ihrer Flucht und deren Entdeckung durch Siegfried massive Probleme bekommen. In den Briefen brachte er deutlich zum Ausdruck, dass er lieber heute als morgen nach England aufbrechen würde, aber die Vorkehrungen seines Vater reichten aus, um dies zu verhindern. Er hatte seinen Sohn an die Kandare genommen. Dann, nach Ausbruch des Krieges, musste Heinrich an die Front. Irgendwann waren die Briefe ausgeblieben. Richard hatte vergeblich versucht, etwas über den Verbleib seines Freundes herauszubekommen. Unzählig durchwachte Nächte lagen hinter ihm, bis er sich eingestehen musste, dass dieser den Krieg wahrscheinlich nicht überlebt hatte. Die Bilder, die er und Silke damals in den Wochenschauen im Kino über die letzten Wochen des Krieges sahen, hatten seine Hoffnung zunichte gemacht. Er war sich sicher gewesen: Der Schmerz würde ihn umbringen. Wochenlang vergrub er sich in seinem Zimmer, nahm nur das Nötigste an Nahrung zu sich und trauerte. Bis zu dem Moment, als Silke ein Machtwort sprach und ihn mit Gewalt aus seiner Trauer holte. Damals hatte er sie dafür gehasst. Heute war er ihr dankbar. Er vermisste Heinrich immer noch, aber der Schmerz war erträglich geworden und er fühlte, dass er wieder bereit war, für die schönen Seiten des Lebens. Selbst an Mainz hatte er sich wieder gewöhnt. Jeden Tag erkundete er einen größeren Kreis der Stadt und machte seinen Frieden mit dem Land, das er verlassen musste, und mit den Menschen, die die Situation mit verursacht hatten. Als Silke versuchte, ihn zu überreden, in ihren Heimatort zu fahren, streikte er allerdings. „Wir sollten wirklich mal nachsehen, ob unser Haus noch steht!“ Sie hatte ein aufmunterndes Lächeln um die Worte gelegt, um ihn zu überzeugen, aber er spürte, dass er noch nicht so weit war. Die Vorstellung, den Ort seiner Kindheit wieder zu betreten oder gar an die Stelle am Rhein zu gehen, wo er und Heinrich sich immer getroffen hatten, überstieg seine Kräfte. „Lass mir noch etwas Zeit. Ich werde hinfahren, aber noch nicht jetzt“, hatte er ihr zur Antwort gegeben. „Ah, Herr Müller macht sich auf den Weg zur Arbeit.“ Die Stimmen, die sich im Treppenhaus erhoben, ließen ihn schmunzeln. Es war von Montag bis Samstag immer das gleiche Ritual. Das Ehepaar Müller verabschiedete sich jeden Morgen pünktlich um 6.00 Uhr lautstark im Treppenhaus voneinander. Er gab ihr Anweisungen, was sie über den Tag zu erledigen habe, und sie ermahnte ihn, seine belegten Brote ja alle aufzuessen und nicht wieder welche am Abend mit nach Hause zu bringen. „Einen Wecker werde ich in dieser Wohnung nie brauchen.“ Er blinzelte, nachdem er den Schalter an der kleinen Lampe betätigt hatte und diese den Raum in ein zartes Licht tauchte. Noch reichte die Helligkeit des neuen Tages nicht aus, um die Aufgabe zu übernehmen. Er streckte sich nochmal genüsslich und schob dann die Bettdecke zurück. Als er von seinem Zimmer aus in die Küche ging, hörte er Silke, die im Bad war. Er betrat die Küche und stellte den Wasserkocher auf den alten Gasherd. Nachdem dieser mit einem lauter werdenden Pfeifen kundtat, dass der Inhalt anfing zu kochen, goss er langsam den Kaffee auf. Mit der freien Hand strich er sich über das Kinn. Die Bartstoppeln schrappten, als er gegen den Strich fuhr. „Das duftet wunderbar.“ Silke, die die Küche betreten hatte, ging an ihm vorbei und wuschelte ihm durch die vom Schlaf zerzausten Haare. „Gut geschlafen? Was hast du heute vor?“ „Ich werde versuchen, eine Arbeit zu finden. Ich dachte, ich klappere einfach mal die Schulen in der Umgebung ab und sehe, ob sie einen Lehrer für Geschichte, Deutsch und Englisch gebrauchen können.“ „Das ist eine wunderbare Idee.“ Sie stellte zwei Tassen mit Untertellern auf den Tisch und holte dann Brot, Butter und Marmelade aus dem Küchenschrank. „Ich bin heute früher zu
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