Gefährliche Liebe unter dem Hakenkreuz (Junge Liebe) (German Edition)
Hause. Ich habe einen halben Tag frei bekommen.“ Silke hatte eine Anstellung in einem kleinen Bekleidungsgeschäft gefunden. Das Geld, das sie dort verdiente, reichte gerade so zum Leben. Aber die Geschwister waren fürs Erste zufrieden mit dem, was sie hatten. Jetzt, wo alle ihre Möbel aus England angekommen waren, wirkte die Wohnung wie ein Heim und nicht mehr wie eine fremde Behausung. „Gut, dann können wir ja heute Nachmittag zusammen die Stadt erkunden. Ich würde gerne mal wieder an die Zitadelle. Dort war ich seit Kindertagen nicht mehr.“ Er kam mit der Kaffeekanne in der einen Hand und Teller und Besteck in der anderen an den Tisch. „Das wird leider nicht gehen.“ Silke zog den Stuhl zurück und setzte sich. „Wir bekommen heute Mittag Besuch.“ „Oh je. Doch nicht etwa wieder deine Kollegin?“ Er verzog das Gesicht. Silkes Kollegin war in seinen Augen eine extrem anstrengende Person. Sie wirkte, als ob sie ständig unter Strom stand. Von dem Moment, wenn sie die Wohnung betrat, bis zu dem Moment, wenn sie sie wieder verließ, hatte man das Gefühl, als ob sie in allen Räumen gleichzeitig wäre. Richard war immer versucht, sein Zimmer abzuschließen, um wenigstens diesen Raum vor ihr zu schützen. „Du sollst nicht so über Jutta reden. Sie ist ein netter Mensch. Außerdem bekommen wir durch sie ab und zu noch etwas mehr zu essen.“ „Das ist auch der einzige Grund, warum ich sie hier ertrage.“ Er grinste sie frech an und zog im letzten Moment den Kopf weg, als sie ihn am Ohr ziehen wollte. „Es tut gut, dich wieder so zu sehen.“ Sie lachte ihren Bruder an und biss dann in ihr Brot. „Du wirst sehen, es wird alles gut werden. Vertrau mir.“
***
Nachdem Richard sich in einen ansehnlichen Menschen verwandelt und die Spuren des gemeinsamen Frühstücks in der Küche beseitigt hatte, zog er seine Jacke über, nahm die Aktentasche mit den Unterlagen und verließ ebenfalls die Wohnung. Draußen vor dem Haus legte er den Kopf in den Nacken und genoss die wärmenden Strahlen der Sonne auf seinem Gesicht. Eine Wohnung mit Balkon, das wäre es, ging es ihm durch den Kopf. „Dann sieh zu, dass du Geld nach Hause bringst.“ Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Er fuhr mit der Straßenbahn ein Stück nach Mainz rein. Einen Luxus, den er sich nicht immer erlaubte, aber heute war ihm danach, sich an den Aktivitäten des Wiederaufbaus vorbeifahren zu lassen. Überall in der Stadt konnte man zusehen, wie sie wieder auferstand. Wie Phönix aus der Asche. Staunend war er damals auf dem Domplatz stehen geblieben und hatte das große Gebäude betrachtet, das fast als einziges im gesamten Umkreis den schweren Bom benangriff und einen verheerenden Brand überstanden hatte. Es war in den letzten Wochen des Krieges gewesen, als die Alliierten versuchten, Deutschland in die Knie zu zwingen, indem sie es mit Bomben übersäten. Er wusste, dass es Ortschaften gab, in denen fast 80% der Gebäude zerstört waren. Es musste fürchterlich gewesen sein. Jetzt begannen die Wunden, wenigstens äußerlich, langsam zu heilen. Er stieg aus der Straßenbahn aus und machte sich auf den Weg zu der ersten Schule. Ein Gymnasium. „Oben anfangen“, hatte er sich gesagt. „Nach unten kannst du immer noch gehen.“ Guten Mutes betrat er das Gebäude. Als er wieder auf der Straße stand, war seine Überzeugung etwas weniger stabil. Jetzt rächte sich, dass er nach seinem Studium nicht gleich ins Lehramt gegangen war, sondern erst eine Zeit nach Palästina, um seinen Bruder und Bärbel mit ihrer Familie wiederzusehen, die mittlerweile dort lebten. „Sie haben keine Berufserfahrung,“ war das Argument des Direktors gewesen. Stimmt, die hatte er nicht. Aber er hatte den festen Vorsatz, es zu ändern. So weit es sein Bein zuließ, ging er mit entschlossenem Schritt los, um die nächste Schule zu besuchen. Nachdem er sich noch drei weitere Absagen in Gymnasien geholt hatte, legte er seine Messlatte etwas tiefer und beschloss, sich erst mal einen Platz zu suchen, wo er sein Brot essen konnte. Er ging die Straße weiter auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit. Plötzlich hielt er inne. Auch wenn immer noch ein riesiger Bombenkrater vor ihm klaffte, wusste er auf einmal, wo er war. Hier hatte Dr. Hermanns Haus gestanden. Hier hatte er erste freundschaftliche Kontakte mit Heinrich geknüpft. Er umklammerte seine Aktentasche und holte tief Luft. Der Anblick des Kraters erinnerte
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