Gefaehrliche Maskerade einer Lady
Aber in seinem Starrsinn war Rafe keinen Vernunftgründen zugänglich. Und wenn sie sich mit ihm streiten würde, würde er sie vermutlich in die nächste Dorfkirche schleppen und den Priester zwingen, sie auf der Stelle zu trauen.
Im Übrigen wusste sie nicht, ob sie die Kraft aufbringen könnte, ihm zu widerstehen, sobald sie ihm in die Augen blickte. Denn sie wünschte sich nichts sehnlicher, als sein Angebot annehmen zu dürfen.
Aber sie durfte und wollte nicht der Grund sein für seinen Ruin.
Sie faltete das Blatt, schrieb Rafes Namen darauf und versiegelte es mit rotem Wachs. Kein Fremder sollte diese Zeilen lesen.
Sie vergewisserte sich, dass die Halle verlassen war und steckte den Brief in den Griff von Rafes Koffer. Dann nahm sie Cleos Reisekorb und ihren kleinen Koffer und folgte der Beschreibung des Dienstmädchens zum Hinterausgang.
Von dort zweigten zwei Wege ab. Der eine führte zu einem ummauerten Küchengarten, der andere vom Haus weg und vermutlich ins Dorf. Diesen Weg schlug sie eilig ein.
Sie hatte keine Ahnung, wohin sie sich wenden sollte. Zum Glück besaß sie etwas Geld, Rafe hatte es ihr in dem Modegeschäft in Portsmouth gegeben. Es war wesentlich mehr, als die Summe, die sie damals besaß, als sie nachts aus dem Haus ihres Vaters vor den Sklavenhändlern fliehen musste.
Damals war sie ein Kind gewesen und hatte es geschafft. Nun war sie erwachsen und wesentlich klüger. Und sie war dort, wo sie immer sein wollte. In England. Ein klägliches Miauen holte sie aus ihren trüben Grübeleien. Sie lächelte Cleo zu, die eine Pfote durch eine der Gitterstäbe steckte. Und sie hatte eine kleine wuschelige Freundin, die sie umsorgen und lieben konnte. Das würde und musste reichen.
Rafe war außer sich vor Zorn. Er hätte Lady Cleeve am liebsten erwürgt. Wie konnte sie es wagen, so abfällig über Ayisha zu sprechen und sich weigern, sie zu begrüßen. Er wusste, dass Ayisha tief gekränkt war. Sie hatte sich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, aber er hatte den Kummer und die Enttäuschung in ihren Augen gelesen. Dennoch war sie dem Dienstmädchen hoch erhobenen Hauptes gefolgt.
Er blickte auf die zwei Teegedecke, die der Butler aufgedeckt hatte. Es waren zwei Tassen, nicht drei. Im barschen Ton wies er den Diener an, ein drittes Gedeck zu bringen, der sich eilig zurückzog.
„Wenn Sie Ayisha kennenlernen, werden Sie einsehen, dass Sie sich geirrt haben, Lady Cleeve“, sagte er.
Die alte Dame schwieg. Ihre Unterlippe zitterte. Würdevoll wandte sie ihr Gesicht von ihm ab, um ihren inneren Aufruhr zu verbergen. Es war eine Geste, die ihn an Ayisha erinnerte.
Sein Zorn legte sich ein wenig. Er stand auf, trat an die Anrichte und schenkte aus einer Kristallkaraffe Sherry in ein Glas. Er reichte es ihr: „Trinken Sie, das wird Ihnen guttun.“
Mit zitternden Händen griff sie nach dem Glas und leerte es in einem Zug. Dann schüttelte sie sich und gab ihm das Glas zurück. „Danke schön“, flüsterte sie.
„Sieht sie“, sie stockte, „sieht sie Henry ähnlich?“
„Sie fürchten sich davor, sie gern zu haben, nicht wahr?“, bemerkte Rafe sanft. „Nein! Sie ähnelt Ihrem Sohn nicht im Geringsten.“
Lady Cleeve seufzte.
„Aber sie sieht genauso aus wie die Dame auf dem Gemälde über dem Kamin“, fügte er hinzu.
Die alte Dame erschrak. „Das ist ein Jugendbildnis von mir.“ „Verblüffend“, staunte Rafe, „diese Ähnlichkeit! Das ist Ayisha, wie sie leibt und lebt. Nur ihre Frisur und ihre Kleidung sind etwas anders. Sie ist Ihre Enkeltochter, daran gibt es keinen Zweifel. Und nach allem, was ich erfahren habe, haben sich Sir Henry und ihre Mutter abgöttisch geliebt.“
„Mir wurde etwas völlig anderes berichtet“, sagte Lady Cleeve mutlos.
Rafe runzelte die Stirn. „Von wem?“
„Von einer Frau, die Henry in Kairo kannte. Sie war wohl eine seiner Freundinnen.“
Rafe schenkte ihr und sich ein Glas Sherry ein. „Und woher kennen Sie diese Frau?“
„Vor etwa einem Monat war eine meiner Freundinnen zur Kur in Bath. In der Trinkhalle hat sie eine Dame kennengelernt, die einige Jahre in Kairo verbracht hatte. Natürlich kamen die beiden auf meine verschollene Enkelin zu sprechen, vermutlich kennt halb England inzwischen die Geschichte. Als die Dame, Mrs Whittacker, meiner Freundin erzählte, sie habe Henry in Kairo gekannt, arrangierte meine Freundin ein Treffen mit mir.“ Sie seufzte und warf Rafe einen wehmütigen Blick zu. „Ich wünschte
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