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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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bequemer gewesen, aber nicht auf der Couch zu sitzen hätte bedeutet, ihr auszuweichen.
    »Was kann ich dir erzählen? Der Tonbandmitschnitt einer Analyse bietet jemandem, der nicht gelernt hat, das Gesagte zu interpretieren, so gut wie nichts. Es steckt nicht voller versteckter Hinweise wie in einer Detektivgeschichte à la Sherlock Holmes, zumindest nicht solcher Hinweise, die für einen Polizisten von irgendeinem Nutzen wären. Sie hat mir ja nicht eines Tages erzählt, daß sie wahrscheinlich ermordet werden würde, und wenn das passiere, der und der wahrscheinlich der Täter war. Glaube mir, wenn sie etwas so Eindeutiges gesagt hätte, dann würde ich nicht zögern, das zu enthüllen, bestimmt nicht aus einem irgendwie mißverstandenen Grundsatz heraus. Der andere wesentliche Aspekt, den man nicht vergessen darf: Für den Analytiker ist es nicht entscheidend, ob etwas tatsächlich passiert ist oder ob das Ereignis bloß in der Phantasie des Patienten stattgefunden hat. Für den Analytiker gibt es da keinen wesentlichen Unterschied, wohl aber für den Polizisten: Für ihn ist es der Unterschied per se.«
    »Ich würde denken, daß es für den Patienten von größter Bedeutung ist, ob etwas wirklich passiert ist oder nicht. Ich würde denken, das ist der wichtigste Punkt.«
    »Genau. Aber das wäre eben der Fehler. Ich kann das nicht einfach erklären, ohne es zu verdrehen, und mache ich es zu einfach, dann wird es falsch. Aber wenn du willst, gebe ich dir, wenn auch zögernd, ein Beispiel. Als Freud mit der Behandlung seiner Patienten begann, entdeckte er erstaunt, wie viele Frauen in Wien als Kinder mit ihren Vätern sexuelle Beziehungen gehabt hatten. Eine Zeitlang schien es so, als seien zumindest eine Handvoll Väter in Wien wahre Sexualmonster gewesen. Dann wurde Freud klar, daß keiner dieser sexuellen Erfahrungen tatsächlich stattgefunden hatte, es waren reine Phantasieprodukte. Aber seine wichtige Entdeckung bestand in der Erkenntnis, daß es für die psychische Entwicklung der Patientin (wenn auch nicht für die sexuelle Moral in Wien) keinerlei Bedeutung hatte, ob diese Dinge nun wirklich passiert waren oder nicht. Die Phantasien waren für sich genommen von enormer Bedeutung. Kate, hast du jemals einem selbstzufriedenen Menschen, der Lloyd Douglas für einen großen Romancier hält, den ›Ulysses‹ zu erklären versucht?«
    »In Ordnung, ich weiß, worauf du hinauswillst, ehrlich. Aber laß mich noch etwas den Quälgeist spielen, ja? Ich habe zum Beispiel nie erfahren, warum sie glaubte, sie brauchte einen Analytiker. Was hat sie gesagt, als sie zum erstenmal bei dir war?«
    »Der Anfang ist immer eher Routine. Ich frage natürlich, was für ein Problem sie hat. Ihre Antwort war nicht ungewöhnlich. Sie schlief schlecht, hatte Schwierigkeiten im Studium, war unfähig, länger zu lesen, und sie hatte Schwierigkeiten, wie sie es in bedauerlichem Sozialarbeiter-Jargon ausdrückte, Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Der Gebrauch dieses Ausdrucks war das Bezeichnendste, was sie an diesem Tag sagte; es zeigte, wie sie das Problem intellektualisiert hatte und in welchem Ausmaße ihre Gefühle unbewußt davon abgezogen waren. Das meiste davon hat auch die Polizei schon herausbekommen, als sie mit mir darüber sprach; das übrige schien ihr für ihre Zwecke überflüssig.
    Ich habe sie gebeten, mir von sich zu erzählen; das ist auch Routine. Die Fakten sind gewöhnlich nicht wichtig, aber das, was weggelassen wird, um so mehr. Sie war das einzige Kind von strengen, pflichtbewußten Eltern, beide sind mittlerweile tot. Beide waren bereits ziemlich alt, als sie geboren wurde – wenn du Einzelheiten wissen willst, kann ich nachschauen. Sie erwähnte zu Anfang keinerlei Liebesaffären, auch keine ganz nebensächlichen, wiewohl sich später herausstellte, daß sie eine Affäre erlebt hatte, in die sie tief verstrickt war. Gelegentliche Assoziationen brachten sie auf diese Geschichte und brachen ihren Widerstand auf, aber sie wich jedesmal wieder sofort vor dem Thema zurück. Wir kamen gerade dem wahren Material etwas näher, als es passierte.«
    »Emanuel, merkst du nicht, wie wichtig das ist? Übrigens, hatte sie – war sie noch Jungfrau?« Er wandte sich zu ihr um, überrascht von der Frage und der Tatsache, daß Kate sie stellte. Kate zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich meine wollüstige Phantasie, aber ich habe das komische Gefühl, daß es wichtig sein könnte.«
    »Ich weiß es nicht,

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