Gefährliche Praxis
mir von Mal zu Mal größere Sorgen um dich, wenn wir miteinander reden. Wir erwarten noch ein Foto von dem Kerl, und ich denke, das wird sogar dich überzeugen. Nach dem, was ich gehört habe, könnte ihn niemand mit einem jungen Cary Grant verwechseln; ein junger Lon Chaney in voller Kriegsbemalung käme ihm sicher näher. Er hat einen tiefen Haaransatz, eine lange, eher fleischige Nase und abstehende Ohren. Zweifellos hat er eine wunderbare Persönlichkeit; er muß Charakter haben, wenn er in die Forschung geht, während das Geld für die Herren Doktoren auf der Straße liegt.«
»Was hatte er mit Janet Harrison zu tun, und wo habt ihr das Testament gefunden?«
»Genau das ist die Frage des Tages: Was hatte er mit Janet Harrison zu tun? Ein Kollege in Chicago hat ihn verhört und schwört, daß der gute Doktor den Namen noch nie gehört und sie auch nicht auf dem Foto erkannt hat. Etwas an diesem Mädchen fängt an, mich zu faszinieren. Wie wir an das Testament gekommen sind, zeigt, wie nützlich Öffentlichkeit sein kann. Der Anwalt, bei dem sie es hinterlegt hatte, hat uns angerufen und uns das Testament ausgehändigt. Nein, du brauchst nicht zu fragen: Der Anwalt kannte sie nicht. Sie hat seinen Namen offenbar aus dem Telefonbuch gefischt. Er hat das Testament für sie aufgesetzt, ein ganz einfaches, und ihr fünfzig Dollar dafür abgenommen. Er hatte sich auf einer dieser verfluchten Geschäftsreisen befunden und der Name fiel ihm nur auf, weil seine Frau ihm nach seiner Rückkehr von dem Fall erzählte. Er scheint mir durch und durch aufrichtig zu sein. Aber es muß eine Verbindung zu diesem Daniel Messenger geben, obwohl er und Janet Harrison, soweit wir das überprüfen konnten, sich niemals auch nur zur gleichen Zeit am gleichen Ort aufgehalten haben.«
»Werfen Sie bitte zehn Cents für die nächsten fünf Minuten nach.«
»Reed, du rufst aus einer Telefonzelle an.«
»Mit ein bißchen Übung, meine Liebe, wird aus dir noch eine große Detektivin. Ich könnte kaum all diese Geheimnisse vom Telefon im Büro des Bezirksstaatsanwalts aus ausplaudern. Kate, ich fange an, mich für deinen Fall zu interessieren. Was wahrscheinlich beweist, daß Wahnsinn ansteckend ist. Ich habe nicht eine Münze mehr.« Er hängte ein.
Daniel Messenger. Ein paar hektische Augenblicke lang spielte Kate mit dem Gedanken, sich ein Flugzeug nach Chicago zu schnappen. Aber wie brutal sie auch zu Thomas Carlyle gewesen war, morgen mußte George Eliot erledigt werden. Und natürlich konnte man sich nicht schnell mal ein Flugzeug »schnappen«. Man mußte sich vielmehr auf den langen langsamen Weg zum Flughafen machen und stundenlang an den Ticket-Schaltern mit Angestellten herumstreiten, die offenbar vor fünf Minuten eingestellt worden waren, aber für einen ganz anderen Job; und wenn man das überlebt hatte, dann erreichte man Chicago nur, um dort seine Warteschleifen über dem Flugplatz zu ziehen und dabei entweder vor Langeweile zu sterben oder mit einem anderen Flugzeug zusammenzustoßen, das glaubte, in einer Warteschleife über Newark zu sein. Mit einiger Anstrengung gelang es Kate, ihre umherschweifenden Gedanken wieder auf Frederick Sparks zu konzentrieren. Reeds Anruf hatte sie nicht nur abgelenkt und den Fall kompliziert, er hatte sie auch an die Nützlichkeit des Telefons erinnert. Sie wählte die Nummer einer Professorin für Literatur des sechzehnten Jahrhunderts, mit der sie vor vielen Jahren einmal zusammen für’s »Mündliche« gelernt hatte.
»Lillian. Hier ist Kate Fansler.«
»Kate! Wie läuft’s auf der Uni auf dem Hügel?«
»Es ist schrecklich, wie jedesmal im Frühling.« April ist der grausamste Monat. Damit hatte es begonnen. Ein paar Augenblicke schwatzten sie über persönliche Dinge. »Ich rufe an«, sagte Kate schließlich, »um dich nach einem deiner Kollegen zu fragen. Frederick Sparks.«
»Falls ihr vorhabt, ihn bei euch einzustellen, tut es nicht. Erstens sitzt er fest auf seinem Posten und würde nicht im Traum daran denken, ihn aufzugeben, und zweitens ist er ein großer Bewunderer des Lesedramas und hält ›The Cenci‹ für besser als ›Macbeth‹.«
»Nichts lag mir ferner, als ihn anheuern zu wollen. Ich erzähle dir ein andermal, worum es geht. Was ist er für ein Mensch?«
»Ziemlich ermüdend. Gut als Wissenschaftler. Lebt allein, hat sich vor kurzem von seiner Mutter gelöst, zumindest einigermaßen. Hat einen französischen Pudel namens Gustave.«
»Gustave?«
»Nach
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