Gefaehrliche Sehnsucht
hatten es einfach stehen lassen. Sie kamen auch an Olivers zerstörter Limousine vorbei, die echt schlimm aussah, jetzt, wo Claire sie von außen richtig betrachtete. Eve fuhr extrem vorsichtig, die Hände fest auf zehn und zwei Uhr am Lenkrad, wie man es in der Fahrschule lernte. Sie wirkte wie versteinert und das wurde nicht besser, als sie sich vom Glass House entfernten und sich ihrem Ziel näherten. Als sie, wie Claire ihr sagte, an der Gasse neben dem Day House anhielt, sah Eve aus, als würde sie gleich zusammenbrechen.
Claire sah vom Beifahrersitz zu ihr hinüber und sagte ganz leise. »Eve, bist du sicher, dass du das hinkriegst? Du kannst hierbleiben. Für den Fall, dass wir schnell abhauen müssen.«
»Das stimmt«, sagte Michael. »Wir könnten eine zuverlässige Fluchtwagenfahrerin gut gebrauchen, falls die Sache schiefgeht.«
»Eve atmete zu schnell und ihr Gesicht war trotz des Make-ups gerötet, aber sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Nein, das schaffe ich schon. Ich will bei euch bleiben. Außerdem macht Collins vielleicht irgendwas Bescheuertes, wenn ich nicht da bin und es ihm verbiete.«
»Nicht so bissig, Gothic-Prinzessin«, rief Shane von hinten. Aber bitte nicht wörtlich nehmen.«
»Vielleicht solltest du das lieber Michael sagen.«
»Das ist nicht lustig, Eve«, sagte Michael.
Eve zog die Augenbrauen hoch und deutete mit den Fingern etwa fünf Zentimeter an. »Ein kleines bisschen schon«, sagte sie.
Claire lächelte. »Also. Gehen wir.«
»Ja, gehen wir.« Claire öffnete die Autotür und stieg aus. Der Sonnenuntergang war schön an diesem Abend - Orange- und intensive Rottöne vor dunklem, endlosem Blau. Sie starrte darauf, denn ihr kam der Gedanke, dass das ihr letzter Sonnenuntergang wäre, wenn es nicht klappen würde.
Der letzte, den sie alle je sehen würden.
Das ist meine Schuld, dachte Claire schon zum hundertsten Mal an diesem Tag. Ich bin verantwortlich.
Auch Michael und Eve waren ausgestiegen und Claire sah, dass Michael E ves H and hielt - zumindest klammerte sich Eve daran fest, als wü rde ihr Leben davon abhängen. Sie traten zu ihr. Eve sah immer
noch aus wie versteinert. Nach kurzem Zögern legte Michael ihr den Arm um die Schultern. »Hey«, sagte er und lehnte sich an sie. »Du machst das schon.«
»Echt? Woher willst du das wissen?«
»Ich kenne dich.«
Eve lächelte schwach, dann packte sie ihn am T-Shirt und ihn an sich. So standen sie einen Augenblick lang da; Michael schaute ihr in die Augen und dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
»Wow«, sagte Shane. »Echt? Ausgerechnet jetzt? Im Ernst?«
Der fünfzehnjährige Shane hatte nicht gerade Sinn für Romantik, dachte Claire und hätte ihm am liebsten einen Klaps auf den Hinterkopf gegeben. Michael und Eve beachteten ihn nicht und küssten sich einfach weiter, bis Eve sich schließlich von Michael löste und tief Luft holte. Das weiße Make-up konnte das Glühen ihrer Wangen nicht verbergen.
Michaels Mund war mit schwarzem Lippenstift verschmiert. Eve griff in ihre Tasche, holte ein Papiertaschentuch heraus und wischte ihn ab. Michael sah ihr dabei zu, als könnte er sein Glück gar nicht fassen, was ganz süß war und sexy zugleich.
»Sorry«, sagte Eve. »Das musste sein. Für den Fall, dass ich sterbe oder so.«
»Schon gut«, sagte Michael. »Echt jetzt. Jederzeit wieder.« Das klang, als würde er es auch so meinen.
Shane sah Claire an und eine Sekunde lang dachte sie... Aber nein. Er sagte: »Erwarte jetzt bloß nicht, dass ich hier den Romeo für dich mache oder so.«
Sie schluckte ihre Enttäuschung hinunter. »Das erwarte ich doch gar nicht«, sagte sie und ließ ihre Stimme dabei cool gleichmütig klingen. »Gib mir einfach Rückendeckung.«
»Äh... okay.« Er klang jetzt doch ein bisschen enttäuscht. Was hätte sie denn sagen sollen? Jungs!
»Gehen wir«, sagte sie. »Wir sind hier draußen wie auf dem Präsentierteller.«
Shane blieb neben ihr, Michael und Eve folgten ihnen, noch immer Händchen haltend. Claire warf Shane einen Seitenblick zu, als sie die immer schmaler werdende Gasse hinuntergingen, die an
beiden Seiten von einem hohen Zaun begrenzt war. »Hast du Angst?«
Er schüttelte den Kopf. »Komisch. Eigentlich nicht. Ich habe das Gefühl, als hätte ich das schon mal gemacht. Oder als wäre das nur ein Traum, aus dem ich irgendwann aufwache. Ich kann nicht genau sagen, was es ist.« Er ballte die Hand zur Faust und sah darauf
Weitere Kostenlose Bücher