Gefaehrliche Sehnsucht
beobachtete er einen Greifvogel der seine Kreise über ein Nest zog. Nach jedem Anflug setzte er sich an den Rand des Nestes und hielt den Jungen mit seinem großen spitzen Schnabel einen Fleischbrocken hin. Stuart lächelte über die Fürsorglichkeit des Tieres. Einem inneren Drang nachgebend, erhob er sich und kletterte die Felswand vor ihm hoch. Etwas in seinem Kopf trieb ihn höher und höher hinauf. Auf einem kleinen Plateau blieb er stehen und blickte auf die Hausdächer von Shadow Fields hinunter. Er spürte, wie Ruhe sich in ihm ausbreitete. Als er einen runden Stein vor der Felswand sah, setzte er sich darauf und schloss die Augen. Wie in Trance hörte er in seinem Kopf ein Lachen und eine sanfte männliche Stimme, die ihn aufforderte weiterzugehen. »Komm schon, du schaffst es, mein Junge. Twinkle twinkle little star ...« Auf Stuarts Gesicht breitet sich ein Lächeln aus.
»Dad«, flüsterte er. Verschwommen sah er vor sich ein Gesicht, aus dem ihn blaue warme Augen ansahen. »Dad«, wiederholte er leise. Erschrocken öffnete Stuart seine Augen. »Dad«, sagte er laut und blickte sich um. Er war alleine auf dem Felsvorsprung. Tränen schossen ihm in die Augen. Schmerz bohrte sich wie Messerstiche in seinen Körper.
»Nein! Nein!«, schrie er. »Dad.« Wie das Wasser über den Felsen, strömten die Erinnerungen an sein früheres Leben in seinen Kopf.
Er hatte mit seinem Vater einen Ausflug in die Berge gemacht. Als ein Sturm aufkam, suchten sie sich eine Höhle für die Nacht. Müde hatten sie sich schlafen gelegt. Mitten in der Nacht ließ ihn ein Geräusch hochfahren. Er wollte seinen Vater wecken, aber der Schlafsack an seiner Seite war leer. Er ließ seinen Augen Zeit, sich ein wenig an die Dunkelheit zu gewöhnen und machte sich dann auf die Suche nach seinem Vater. Ein schmatzendes Geräusch ließ ihn aufhorchen. Langsam schlich er sich den grauenvollen Tönen entgegen. Vor dem Höhleneingang bot sich ihm ein grauenvolles Bild. Sein Vater lag auf einem Felsblock und Blut tropfte aus offenen Wunden am Hals. Drei Männer umringten ihn und beugten sich immer wieder zu der bewusstlosen Gestalt hinunter. Stuart wusste damals nicht, was sie mit seinem Vater taten, aber er fühlte instinktiv, dass von ihnen eine tödliche Gefahr ausging.
Er suchte nach einem Weg, die Höhle heimlich zu verlassen und Hilfe zu holen. Aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Wie gelähmt blieb er stehen und starrte zitternd auf die toten Augen seines Vaters.
Einer der Männer drehte sich langsam um und blickte ihm in die Augen. »Wir tun dir nichts. Wir sind deine Freunde. Du stehst unter unserem Schutz.«
»Nein«, stieß Stuart gequält hervor. Der Mann kam mit einem intensiven Blick näher und berührte ihn an der Stirn. Wohlige Wärme hatte seinen kleinen Körper durchströmt und alle Erinnerungen seines kurzen Lebens verdrängt.
Stuart öffnete die Augen und wollte schreien. Laut hinausschreien, dass er jetzt wusste, was ihm genommen worden war.
»Sie haben dein Blut getrunken, sie haben dich komplett ausgesaugt, Dad«, flüsterte Stuart. Ein Schauer zog durch seinen Körper. Tränen der Trauer und der Wut schossen ihm aus den Augen, bis er vor Erschöpfung einschlief. Ein Kreischen über ihm holte ihn in die Realität zurück. In seinen Augen lag ein gefühlloser Ausdruck, als er die Felswand hinunter stieg.
Kapitel 24
» K omm herein«, begrüßte Aidan ihren Gast. Stuart stand nervös vor ihr. Er war es nicht gewohnt, dass Fremde so freundlich mit ihm waren. Er überreichte ihr zwei große Boxen Orangenjuice. »Ich wollte auch einen kleinen Beitrag leisten«, sagte er und lächelte sie an.
»Super«, sagte Aidan und zwinkerte ihm zu, »ich habe ohnehin wenig Getränke hier.«
Stuarts Wangen bekamen etwas Farbe. »Ich kann gerne noch mehr davon besorgen, wenn du willst.«
Aidan schüttelte den Kopf. »Das ist nicht notwendig. Und außerdem fehlt uns am Grill noch eine Hilfe, denn mein Freund kommt heute erst später. Vielleicht könntest du anstatt ihm unseren Grillmeister Noah ein wenig unterstützen.«
»Das mach ich gerne«, freute sich Stuart.
Aidan hatte wie beim letzten Mal, als sie ihn kennengelernt hatte, das Gefühl, dass er etwas anders war, als ...
»Anders als ... wer?«, fragte sich Aidan. Anders als alle, die sie kannte ... Er war ... kein gewöhnlicher Mensch. Sie konnte es fühlen. Es war etwas Mystisches an ihm. Etwas, das sie nicht kannte.
Sie berührte Stuart am Arm und sah ihm in
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