Gefaehrliche Spur
abknickte, als hätte ein Riese ihn im rechten Winkel gebrochen, und mit der Spitze dem Boden entgegenfiel. Der Seitenast, dessen Spitze Orrin erst vor zwei Tagen abgeschnitten hatte, weil dessen Blätter über den Vorgarte n weg ragten und er jedes Mal den Kopf hatte einziehen müssen, um darunter durchzugehen, raste auf ihn zu. Ehe Orrin aufspringen oder sich zur Seite werfen konnte, durchbohrte das Astende wie ein Speer seinen Brustkorb und bereitete seinem Leben ein Ende.
*
Morton Caine zählte sein Geld und lächelte zufrieden.
Mit jedem Tag wurde er reicher. Was nicht nur an den Bonuszahlungen lag, die er auf Umwegen für seine Dienste erhielt, mit denen er gierigen Zeitg e nossen zu Lottomillionen verhalf. Er staunte immer wieder, wie leicht es war und wie viele Menschen für Geld nur allzu bereit waren, nahezu alles zu tun. Zumindest hatte er, seit er dieses Nebengeschäft betrieb, noch nicht erlebt, dass einer seiner Kunden einen Rückzieher gemacht hatte, wenn es darum ging, das Opfer zu töten. Nicht einmal die Frauen. Und er hatte schon drei weitere Kandidaten, die es kaum erwarten konnten, durch Mord zu sehr viel Geld zu kommen.
Er öffnete den Safe und nahm das alte Buch heraus. Strich über seinen l e dernen Einband, auf dem ein Symbol aufgeprägt war, das er nicht kannte und das auch schon so verblasst und abgegriffen war, dass wahrscheinlich Teile davon nicht mehr existierten, die ein erkennbares Bild ergeben hätten. Was noch sichtbar war, ähnelte einem altertümlichen Schlüssel mit einem seltsam geformten Bart, der wie die Giftzähne einer Schlange wirkte. Die Reide, der obere Teil des Schlüssels, schien ein verschlungenes Muster zu sein, das e i nem keltischen Knoten ähnelte, aber doch anders war. Morton glaubte, darin ineinander übergehende Schriftzeichen zu erkennen, konnte aber nicht sagen, aus welcher Sprache sie stammten; falls es sich tatsächlich um Schriftzeichen handelte. Letztendlich war es egal. Nur der Inhalt zählte.
Er schlug es auf und fühlte wieder den erregenden Schauder über seinen Körper kriechen, den er immer bei der Berührung der Seiten empfand. Sie bestanden ebenfalls aus Leder. Und im Hinblick auf den Inhalt des Buches müsste er sich schwer täuschen, wenn es sich dabei nicht um Menschenhaut handelte. Auch die geringe Seitenzahl – sechsundsechzig – sprach unter B e rücksichtigung ihrer Größe dafür, dass die Haut von Menschen stammen musste; seiner Schätzung nach acht bis zehn. Bevor er das Buch in die Hände bekommen hatte, hätte er sich nie träumen lassen, dass es so etwas geben könnte. Erst recht nicht, dass das, was darin stand, ihm zu Reichtum verhe l fen würde.
Ein Signalton von seinem PC ließ ihn aufblicken. Er wusste, was das b e deutete, ging aber trotzdem zu seinem Schreibtisch, um sich das Ergebnis anzusehen, nachdem er das alte Buch wieder in den Safe gelegt hatte. Er l ä chelte zufrieden. Tyler Barrington, sein vorletzter Kunde, war vor einigen Tagen bei seinem Urlaub auf Hawaii einer Haiattacke zum Opfer gefallen. MyKiP Insurance hatte, gemäß ihrem Ruf, schnell zu arbeiten, die auf die Brown Foundation ausgestellte Lebensversicherung an eben diese ausgezahlt. Morgen würde deren Geschäftsführer, Mark Kelsoe, sieben der zehn Milli o nen, die Barrington eingezahlt hatte und die soeben auf dem Konto der Foundation eingegangen waren, an sieben förderungswürdige Künstler als Stipendien überweisen. Künstler, die nur auf dem Papier existierten und Ko n ten unterhielten, die in ein paar Wochen aufgelöst werden würden, nachdem die Künstler alles Geld in bar abgehoben hatten.
Derjenige, der das Geld abholen würde, war Morton selbst. Aus diesem Grund wohnte keiner der angeblichen Künstler in Portland und war nur über ein Postfach zu erreichen, das auch Morton gehörte. Eine perfekte Sache, die ihm während der vergangenen zehn Monate bereits an die hundertzwanzig Millionen eingebracht hatte, wenn er die Zinsen und Renditen seiner Anlagen mitrechnete.
Aber die Sache würde irgendwann auffliegen. Die angeblichen Künstler mussten der Foundation innerhalb eines Jahres je nach ihrer Kunstsparte ein bis drei vollendete Werke vorlegen und zwischendurch immer wieder Fotos der Zwischenstadien schicken. Die waren kein Problem, denn mit modernen Bildbearbeitungsprogrammen ließen sich die leicht fälschen. Auffliegen wü r de das Ganze erst, wenn der erste Fake-Künstler die fertigen Werke persö n lich der Foundation
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