Gefaehrliche Spur
verschwand und die Tür schloss.
Der Mann hatte eine Präsenz, um die sie ihn in gewisser Weise beneidete. Und seine Augen … Sie besaßen nicht nur dieses faszinierende Bernstei n braun von Fuchsaugen, in ihnen lag ein Ausdruck, der nicht zu einem O b dachlosen passte. Wachsam, beobachtend, mit nicht einmal dem Hauch von Fatalismus oder gar Verzweiflung, die sie in den Augen seiner Leidensgeno s sen in den vergangenen Tagen gesehen hatte.
Wahrscheinlich lebte er noch nicht lange auf der Straße. Nach der Art zu schließen, wie er ihre Angreifer fertiggemacht hatte, war er Soldat gewesen. Er war definitiv ein gefährlicher Mann. Genau genommen war es leichtsinnig von ihr, ihn mit auf ihr Zimmer zu nehmen. Dass er ihr beigestanden hatte, bedeutete gar nichts. In erster Linie hatte er nur sich selbst verteidigt. Aber ihn nicht mitzunehmen und ihn womöglich der Polizei in die Arme laufen zu lassen, wäre ihr undankbar vorgekommen. Und nachdem sie ihn zum Essen eingeladen und er angenommen hatte, musste sie zu ihrem Wort stehen. Da sie sich in Portland nicht auskannte und nicht wusste, wo sie Restaurants finden konnte, in denen man nicht so sehr auf das Äußere achtete, hatte sie sich spontan für diese Variante entschieden. Ungefährlich war das trotzdem nicht.
Gott, sie zitterte immer noch und fühlte sich innerlich so angespannt, dass sie das Gefühl hatte, jeden Moment zu zerreißen. Sie wagte nicht, sich au s zumalen, was passiert wäre, wenn diese vier Typen oder auch nur einer von ihnen etwas Weißes angehabt hätte. Oder der Pick-up weiß gewesen wäre. Jason hatte recht gehabt. Ihre so mühsam errungene Stabilität, die nur äuße r lich existierte, wäre dahin gewesen. Sie wäre gelähmt gewesen und hätte sich nicht einmal dann rühren können, wenn einer von denen mit einem Messer in der Hand auf sie zu gekommen wäre.
Mit Schaudern erinnerte sie sich – zum Glück nur vage – daran, wie sie im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein gekommen war und wie am Spieß g e brüllt hatte, als sie um sich herum die weißen Wände und die weiße Decke und die weißen Kittel der Ärzte gesehen hatte. Sie hatte den Winter im Süden verbringen müssen, weil sie den Anblick von Schnee nicht mehr ertrug. Sei t dem liebte sie die Nacht.
Sie holte die Tabletten aus ihrer Tasche, die Dr. Serkova ihr für den Notfall gegeben hatte , und schluckte eine. Hastig spülte sie sie mit Mineralwasser hinunter, denn selbst die Außenhaut des Dings schmeckte so bitter wie die Erinnerungen, die nicht totzukriegen waren. Sie musste Geduld haben. Was sie erlebt hatte, steckte selbst der stärkste Mensch nicht in wenigen Wochen weg. Dr. Serkova hatte ihr attestiert, dass sie noch nie jemanden therapiert hatte, der nur ein halbes Jahr nach einem solchen Martyrium schon wieder arbeitsfähig gewesen war. Rya solle stolz darauf sein, dass sie das geschafft hatte. Aber sie fühlte sich nicht stolz. Sie fühlte sich verloren und hatte i m mer noch das Gefühl, an einem Abgrund zu wandeln, aus dem heraus sie ein Monster anstarrte, das nur darauf wartete, dass sie der Kante zu nahe kam oder riskierte, einen Blick auf die Bestie zu werfen, um sie anzuspringen und zu verschlingen. Diesmal endgültig.
Sie spürte, wie die innere Anspannung nachließ, als die Tablette ihre Wi r kung tat, und atmete auf. Leider half das Medikament nur körperlich und löschte nicht die Erinnerungen oder verhinderte, dass irgendetwas einen ne u en Panikanfall auslöste. Dank Tom Foxes Anwesenheit in ihrem Auto hatte sie verhindern können, dass die Panik vollends ausbrach. Aber sie war nahe dran gewesen. Und diese Gefahr war noch nicht vorbei.
Sie suchte im Telefonbuch die Nummer eines chinesischen Restaurants mit Lieferservice und bestellte zweimal das Tagesangebot. Anschließend rief sie eine Schnellreinigung mit Hausservice und 24-Stunden-Öffnung an und b e stellte eine Abholung mit schnellstmöglicher Rückgabe. Anschließend klopfte sie an die Badezimmertür. Drinnen rauschte die Dusche, und Tom Fox an t wortete nicht. Wahrscheinlich hatte er das Klopfen nicht gehört. Rya verm u tete, dass er auch nicht hören würde, wenn sie ihm etwas durch die Tür z u rief. Deshalb verzichtete sie darauf und öffnete die Tür einen Spalt. Die Duschkabine war von Dampf erfüllt, sodass sie Tom Fox nur als Schemen sehen konnte. Das war ihr sehr recht, denn dann konnte er sie auch nicht sehen.
Seine Kleidung lag auf dem Hocker neben der Tür. Sie nahm sie und schloss
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