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Gefaehrliche Spur

Gefaehrliche Spur

Titel: Gefaehrliche Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Laue
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wieder in den Sessel und holte das in Pappschachteln verpackte Essen heraus. Er ha n tierte in einer Weise mit den Essstäbchen, die Rya zeigte, dass er früher öfter beim Chinesen gegessen hatte. Und seine Tischmanieren hatte er auch nicht vergessen. Er legte die Serviette auf den Schoß und aß langsam, kaute jeden Bissen gut, statt hungrig zu schlingen und tupfte sich zwischendurch immer wieder den Mund mit der Serviette ab in einer Weise, die bewies, dass er aus einem guten Haus stammte.
    Rya beobachtete verstohlen die Bewegungen seiner Hände. Flüssig, sicher, gewohnt zuzupacken und auch Feinarbeiten zu verrichten; andernfalls könnte er nicht so geschickt mit den Stäbchen hantieren, dass es tänzerisch leicht wirkte. Dass man so mit Stäbchen essen konnte, hätte sie nie gedacht. Wie mochte es sich anfühlen, von diesen Händen berührt zu werden? Er sah auf, weil er wohl spürte, dass sie ihn ansah.
    „ Ist das Essen okay?“, fragte sie, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie ihn beobachtete wie ein Tier im Zoo.
    Er nickte. „Danke. Es ist wirklich gut. Und ich danke Ihnen auch für die Einladung.“
    „ Keine Ursache“, versicherte sie und blickte konzentriert auf ihr Essen, um nicht wieder zu ihm hinzusehen.
    Nachdem er seine Mahlzeit beendet und sich die Hände gewaschen hatte, sah er auf die Uhr, ehe er sich wieder in den Sessel setzte. „Da ich immer noch anderthalb Stunden werde warten müssen: Haben Sie eine Zeitung? Oder ein Buch? Sie brauchen sich nicht mit mir zu beschäftigen oder mich zu unterhalten. Ich bin ein genügsamer Typ.“
    Sie hatte den Eindruck, dass er das nicht immer gewesen war. Aber das war möglicherweise Einbildung. Sie öffnete den Kleiderschrank, in de n sie auch ihren Koffer gestellt hatte, und holte ein Taschenbuch heraus, das sie in Washington am Flughafen gekauft hatte. Sie hatte es erst halb gelesen.
    „ Was Besseres habe ich leider nicht.“
    Er warf einen Blick auf den Titel. „Weil es kaum etwas Besseres gibt“, meinte er. „Zumindest nicht, was Originalität und Authentizität betrifft. D a rin sind Tony Hillermans Romane unübertroffen.“
    Er schlug das Buch auf, ein Bein über das andere und vertiefte sich in den Text. Rya entsorgte die leeren Essensschachteln und nahm anschließend i h ren Laptop. Sie setzte sich an den kleinen Tisch und begann zu arbeiten. Sie googelte Vermisstenfälle unter Obdachlosen in Portland, um zu prüfen, ob sich hier tatsächlich solche Fälle häuften, fand aber keinen Hinweis. Das sol l te sie nicht wundern. Obdachlose vermisste niemand außer ihren Gefährten auf der Straße. Und die gingen wohl kaum zur Polizei und erstatteten eine Vermisstenanzeige. Davon abgesehen bezweifelte Rya, dass die Polizei eine solche Anzeige verfolgen würde. Wie Tom gesagt hatte, gab es viele Obdac h lose, die nicht an einem Ort blieben, sondern von Stadt zu Stadt wanderten und lieber vom Betteln lebten als von ehrlicher Arbeit.
    Sie hätte gern gewusst, woher er stammte; aber seinen Namen zu googeln, während er noch hier war, war keine gute Idee. Er könnte es mitbekommen, und sie hatte sich bei ihm schon genug in die Nesseln gesetzt, indem sie seine Kleidung ungefragt reinigen ließ. Doch je länger er blieb, desto angespannter wurde sie und desto schwerer fiel es ihr, sich zu konzentrieren. Sie war nicht mehr mit einem Mann so lange allein in einem Raum gewesen, seit …
    Sie sah aus den Augenwinkeln eine Bewegung und zuckte zusammen. Doch die Bedrohung, die ihr Unterbewusstsein befürchtet hatte, existierte nicht. Tom hatte nur seine Haltung verändert und eine Seite im Buch umgeblättert. Sie schalt sich eine Närrin; in doppelter Hinsicht. Einen fremden Mann mit auf ihr Zimmer zu nehmen, war die erste Narretei. Auch wenn er ihr beig e standen hatte, blieb er eine potenzielle Gefahr. Er lebte schon wer weiß wie lange auf der Straße. Dementsprechend hatte er wer weiß wie lange nicht mehr mit einer Frau geschlafen, und er war körperlich und auch psychisch noch nicht so sehr am Ende, dass er gegen entsprechende Gelüste gefeit wäre. Die zweite Narretei war, dass sie seine Kleidung zur Reinigung gegeben hatte und nun gezwungen war, in der Enge dieses Zimmers mit ihm ausz u harren, da sie ihn kaum in die Lobby schicken konnte. Und wenn sie ihn den Rest der Zeit allein ließe, könnte er die Gunst der Stunde nutzen und ihr die Kreditkarte oder zumindest das Bargeld klauen.
    Hatte er das vielleicht schon vorhin getan, als sie das Essen

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