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Gefährliche Stille

Gefährliche Stille

Titel: Gefährliche Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ein Zeitungsausschnitt. Die
Fußzeile der Seite lautete Newsweek, 13. Februar 1959.
    Ich nahm den Ausschnitt heraus und
drehte ihn um, um zu prüfen, ob da eine Erläuterung zu dem Foto war, die der
Rahmen verdeckt hatte. War die Newsweek im Netz? Reichten die
zugänglichen Nummern so weit zurück? Vielleicht.
    In der Sitzlehne war ein Bordtelefon.
Ich nahm eine Kreditkarte heraus, zog sie durch, wählte die Nummer von Micks
und Charlottes Wohnung. Keim meldete sich, hörbar verschlafen. Als ich meinen
Namen sagte und nach Mick fragte, sagte sie »Shar, du ruinierst einem jeden
Schönheitsschlaf« und hielt die Muschel zu. Gleich darauf drang Micks
mürrisches Knurren an mein Ohr.
    »Ich weiß, es ist spät«, sagte ich,
»aber sieh’s als Herausforderung.«
    Gähnen.
    »Ich brauche einen Artikel aus der Newsweek vom dreizehnten Februar 1959.« Ich beschrieb ihm das Foto, erklärte ihm, was
hinten drauf war.
    »Ich glaube, das kann ich dir
beschaffen. Wo erreiche ich dich?«
    »Gar nicht, aber ich rufe dich an, wenn
ich in Seattle bin.«
    »Wieso Seattle?«
    »Schien mir so gut wie jeder andere Ort
zu sein.«
     
    »Das Foto, um das es dir ging«, sagte
Mick, »gehört zu einem Artikel darüber, wie gut es die Indianer in den
Reservaten haben. Was hat Fenella dort gewollt?«
    »Ihren Wurzeln nachspüren, genau wie
ich. Sagt die Bildunterschrift, wer der Mann ist?«
    »Ja, ich lese sie dir vor. ›Glückliche
Fort-Hall-Bewohner mit zu Besuch weilenden Freunden: Fenella McCone, selbst
Halbshoshonin, und Austin DeCarlo, Sohn eines bekannten Ranchers aus
Zentralkalifornien.«
    »Steht in dem Artikel irgendwas über
ihn?«
    »Nein. Shar, dieses Geschreibsel ist
totaler Quatsch. Ich war schon in Reservaten, und das sind keine tollen Orte.
Aber in den fünfziger Jahren waren sie garantiert noch schlimmer.«
    »Viel schlimmer, nach dem Material zu
urteilen, das du mir zusammengestellt hast. Das ist ein reiner
Propagandaartikel.«
    »Bist du in Seattle?«
    »Ja, aber nicht mehr lange. Ich habe
eine Fliegerfreundin angerufen, die immer zu einer kleinen Spritztour bereit
ist, und sie hat sich angeboten, mich für das Benzingeld und ein Frühstück nach
Hause zu bringen.«
    »Soll ich dir den Artikel nach Hause
faxen?«
    »Tu das. Und starte gleich morgen früh
einen Suchlauf nach Austin DeCarlo.«
     
    Der Karton mit Fenellas Papieren, den
John mir per FedEx geschickt hatte, stand gleich hinter meiner Haustür,
zusammen mit einer Sendung, in der sich eine Jeans befand, die ich bei Lands’
End bestellt hatte. Michelle Curley, Nachbarstochter und Bedarfs-Haussitterin,
war mal wieder ungeheuer gewissenhaft gewesen. Ich zahlte ihr fünfundzwanzig
Dollar im Monat für die Versorgung der Katzen, wenn ich nicht da war, und das
Hereinbringen von Post oder sonstigen Lieferungen. Sie verdiente sich jeden
Cent davon redlich und tat mehr, als vereinbart war: Bei meiner Rückkehr aus
San Diego hatten mich gespültes Geschirr und ein mit Blumen aus dem Garten
ihrer Eltern geschmücktes Wohnzimmer erwartet.
    Ich ließ die Lands’-End-Sendung liegen,
schleifte aber den Karton den Flur entlang. Riss den Artikel, den Mick mir
gefaxt hatte, vom Faxgerät in meinem Arbeitszimmer ab, warf dann die
Kaffeemaschine an, obwohl ich beim Flughafenfrühstück mit meiner Freundin schon
drei Tassen hinuntergekippt hatte. Während die Maschine gurgelte, ging ich
rasch unter die Dusche und las dann beim Haareföhnen den Artikel. Allerdings
der reine Propagandamist. Besonders ärgerten mich die letzten Absätze.
     
    »Die ›Termination‹ der staatlichen
Fürsorge innerhalb des Reservatssystems durch die Bundesregierung hat, wie es Senator
Arthur Watkins (Republikaner/Utah) formuliert, in der Tat »die Emanzipation der
Indianer gebracht«. Gesetze mit dem Ziel der Erstellung endgültiger
Stammesregister, der Verteilung von Grund und Boden und sonstigem
Produktiwermögen an Individuen und der Aufhebung der treuhänderischen
Verwaltung des Indianerlands durch den Staat werden den Indianern ein Mehr an
Unabhängigkeit und Selbstbestimmung bescheren.
    Schon jetzt zeitigt diese neue Ära des
Reservatswesens positive Ergebnisse: Das Interesse an traditionellen
Handwerkstechniken und Glaubensinhalten steigt sprunghaft, der Tourismus blüht
wie noch nie, die Stammesangehörigen sehen einer rosigen und erfüllten Zukunft
entgegen. Kein Wunder, dass unserem Reporterteam ein solches Maß an
Fröhlichkeit und Optimismus entgegenschlug, als es letzten Sommer durchs

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