Gefährliche Stille
Land
reiste, um diese Horte indianischer Kultur zu besuchen.«
Fröhlichkeit und Optimismus, meine
Fresse! Ich hatte genug Ahnung von Geschichte, um zu wissen, dass die Indianer
zu beidem kaum je Anlass gehabt hatten, vor wie nach der »Termination«. Unter
der Schirmherrschaft der Bundesregierung hatten sie verzweifelt auf Nahrung,
Kleidung und medizinische Güter gewartet, die zu spät oder nie eintrafen. Sie
hatten in Elendsbehausungen gelebt, waren durch Missionare jedweder Couleur
gezwungen worden, das Christentum anzunehmen, und hatten mitansehen müssen, wie
man ihnen ihre Kinder wegnahm, um sie in Internate zu schicken, die eigens
darauf angelegt waren, jede Spur ihrer traditionellen Kultur auszutilgen.
Und dann, in den vierziger und
fünfziger Jahren, hatte die Politik der »Termination« begonnen, die Einstellung
staatlicher Unterstützungsleistungen in einem Großteil der Reservate. Dadurch
fanden sich die Indianer in der Tat »emanzipiert« — vom Zugang zum
Indianer-Gesundheitsdienst und zu staatlichen Bildungsförderungsprogrammen. Ihr
Land unterlag jetzt der Besteuerung, und viele Stammesangehörige waren
gezwungen, an Nicht-Indianer zu verkaufen. Die Staatsgesetze wurden auf ihre
Territorien ausgedehnt, und sie verloren das Recht, eigene Polizeikräfte
einzusetzen. Die »fröhlichen und optimistischen« Indianer sahen sich in einem
Teufelskreis aus gesundheitlichen Problemen, Analphabetismus und Armut
gefangen.
Zugegeben, die Shoshonen auf dem Foto
mit Fenella wirkten fröhlich, aber ich bezweifelte, dass das irgendetwas mit
der »neuen Ära« des Reservatswesens zu tun hatte. Wahrscheinlich hatten sie einfach
Spaß und alberten für den Fotografen herum — lachten vielleicht sogar über
diese Weißen, die da zu ihnen gekommen waren, mit festen Vorstellungen, was sie
vorfinden würden.
In die Küche zurückgekehrt, merkte ich,
dass das wieder einer von diesen verhexten Montagen werden würde. Die
Kaffeemaschine leckte, und auf der Arbeitsplatte breiteten sich satzhaltige
Pfützen aus. Der Kühlschrank machte dieses vertraute Mahlgeräusch, ein Zeichen
dafür, dass ich bald einen neuen brauchen würde. Eine der Katzen — mindestens —
hatte den Knoblauchzopf attackiert, der an einem Küchenschrank hing. Und jetzt
kamen sie auch noch von ihren Schlafplätzen herbeigeeilt, scharf auf ihr
Frühstück.
»Jawohl«, sagte ich und sah sie streng
an, »der menschliche Dosen- und Türöffner ist wieder da.«
Allie bedachte mich mit einem ihrer
anbetenden Blicke; Ralph strich mir schnurrend um die Beine. Waren sie einfach
nur geniale Schauspieler oder wirklich froh, mich zu sehen? Ich würde es nie
rauskriegen.
Nachdem das liebe Vieh gefüttert, getränkt
und auf die Weide gelassen worden war, nahm ich meinen Kaffee mit ins
Wohnzimmer und kämpfte mich mittels eines Küchenmessers durch die endlosen
Klebebandmeter, mit denen John — der der festen Überzeugung war, dass der
Inhalt eines jeden von ihm gepackten Pakets garantiert Ausbruchspläne
schmiedete — den Karton gesichert hatte. Als ich den Deckel anhob, entfloh
weiter nichts als ein Moderhauch — der Geruch von Papier, das zu lange in einer
feuchten Garage gelagert hatte. Ich kippte den Karton aus und begann, den
Inhalt zu sichten.
Sentimental war Fenella nicht gewesen.
Keine Briefe, Fotos oder sonstigen Erinnerungsstücke. Nur jede Menge Dokumente,
Belege und Kontoauszüge, die etwa die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens
abdeckten.
Ich war zuerst versucht, alles
miteinander ins Kaminfeuer zu werfen, beschloss dann aber, es dennoch
durchzugehen. Ein Testament, das ihre Habe zwischen Pa und Jim aufteilte.
Mietvertrag für eine Wohnung in San Diego. High-School- und
College-Abschlussdiplom. Abgewetzter Reisepass. Kreditkartenbelege,
Gehaltsbelege von ihren verschiedenen Jobs als Buchhalterin. Scheckbelege:
Lebensmittelladen, Reinigung, Vermieter, Telefon, Gas und Strom und — Saskia
Hunter.
Ein Scheck über 2500 Dollar.
Ausgestellt im August 1962. Damals eine beträchtliche Summe.
Ich ging die übrigen Scheckbelege
durch, fand insgesamt fünfzehn über Zahlungen an Hunter, beginnend im Dezember
1959 und alle über denselben Betrag. Sämtliche Schecks im August oder Dezember
ausgestellt, der letzte im Dezember 1966.
Bei den Scheckbelegen lag ein Stapel
Kontoauszüge. Ich nahm sie mit an den Küchentisch, goss mir neuen Kaffee ein
und studierte die Zahlungseingänge. Viele entsprachen den Gehaltsbelegen,
andere jedoch waren höher;
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