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Gefährliche Stille

Gefährliche Stille

Titel: Gefährliche Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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eifersüchtig auf mich
sein?«
    »Das ist nichts Rationales. Darce will
Mutter noch nicht mal mit mir teilen.«
    »Er hat ganz schön viele Probleme,
was?«
    »Ja, aber sie sind selbst fabriziert.«
    »Du sagst, er war während der ganzen
High-School- und College-Zeit der nette amerikanische Junge von nebenan. Was hat
ihn so verändert, abgesehen von seinen seltsamen Freunden?«
    »Dads Tod.«
    »Sie standen sich so nahe?«
    »Im Gegenteil. Sie haben sich ständig
gestritten, und an dem Tag, als Dad dann den Infarkt kriegte, hatten sie noch
eine böse Auseinandersetzung. Darce hatte Schuldgefühle, so geriet er an die
Drogen, und jetzt — na ja, du hast ihn
    ja gesehen.«
    »Ist er in Therapie?«
    »Wenn er hingeht, was er nicht off tut.
Aber jetzt genug von ihm. Die Ärztin hatte gute Neuigkeiten für uns: Mom ist
heute kurz aus dem Koma aufgetaucht. Irgendwann tagsüber war sie unruhig, hat
sich hin und her geworfen und Sachen gemurmelt, die niemand verstehen konnte.
Seit ich hier bin, hat sie sich nicht geregt, aber die Ärztin sagt, die
Aktivität sei ein gutes Zeichen.«
    Ein Teil meiner Nervosität verflog.
»Robin, das ist ja toll!«
    »Ja, ist es.« Sie machte eine
Kopfbewegung in Richtung Bett, erwartete offenbar von mir, dass ich hinging.
    Ich konnte es nicht — nicht in Robins
Gegenwart. Einerseits fühlte ich mich als Eindringling, andererseits
widerstrebte es mir, einen so persönlichen Moment mit irgendjemandem teilen zu
sollen. Aber wie konnte ich sie bitten...
    »Hör mal, Sharon«, sagte sie. »Ich muss
meinen Freund anrufen — er ist jetzt wahrscheinlich schon bei uns zu Hause.
Kannst du ein Weilchen bei Mom bleiben?«
    »Klar«, sagte ich. Danke, dachte
ich. Meine neue Schwester war für ihr Alter unglaublich einfühlsam und taktvoll.
    Als sie das Zimmer verlassen hatte,
blieb ich stehen, wo ich war, und beobachtete die regelmäßigen Zackenmuster,
die über Saskias Monitor huschten. Im Zimmer war es kühl und ruhig; ich atmete
tief durch, und als die beruhigende Wirkung meinen Körper durchdrang, überwand
ich die Distanz zwischen Tür und Bett und sah auf Saskia herab.
    Ein Blitz des Erkennens durchzuckte
mich, als ob jemand einen Schalter betätigt und mein ganzes Leben, bis zum
Moment meiner Zeugung, hell erleuchtet hätte. Kein Zweifel, das war meine
Mutter.
    Wir sahen uns wirklich so ähnlich, wie
mir gesagt worden war. Wir hatten dieselbe ovale Gesichtsform, die gleichen
prägnanten Wangenknochen, dieselbe Schrägung der Nase. Ihre Augenbrauen waren
genau wie meine, die eine ein winziges bisschen höher als die andere. Ihr Mund
war wie meiner, und die Linien um die Mundwinkel sagten mir, dass das eine Frau
war, die gern und viel lachte. Als ich sie betrachtete, hatte ich plötzlich
eine Ahnung, wie ich mit Ende fünfzig aussehen würde, und diese Aussicht
missfiel mir nicht.
    Zaghaft berührte ich Saskias Eland,
dort auf dem Laken. Sie war trocken und kühl, mit kurz geschnittenen, unlackierten
Nägeln. Wieder durchzuckte mich dieses Erkennen, und ich hörte mich ihren Namen
sagen.
    Sie reagierte nicht.
    Tränen brannten mir in den Augen, als
ich auf ihr regloses Gesicht sah. So viele verlorene Jahre, und jetzt...
    Plötzlich zuckten Saskias Lippen. Ihre
Finger krampften sich um meine, und sie warf den Kopf hin und her. Erschrocken
suchte ich nach dem Klingelknopf, aber noch ehe ich ihn finden konnte, waren
ihre Augen — braun wie meine — weit offen und auf mich gerichtet.
    Ich blinzelte und versuchte, meine
Finger aus ihren zu lösen. Sie hielt meine Hand fest, starrte mich eindringlich
an. Ich konnte nicht sagen, ob sie mich wirklich sah oder nicht. Ihre Zunge
fuhr über die trockenen Lippen, und sie flüsterte etwas.
    Ich beugte mich dichter heran. Sie
flüsterte wieder.
    »Tut mir Leid. Ich hab’s nicht
verstanden.«
    Ihre Brauen trafen sich beinah, und sie
schien sich mit aller Macht zu konzentrieren. »Such...«, sagte sie.
    »Such?«
    »...Cone...«
    Cone? McCone? Meinte sie mich? »Saskia,
ich bin...«
    »Cone«, sagte sie. »Sünde...«
    Ja, sie wurde offensichtlich von
Erinnerungen überschwemmt, an die Zeit, als sie unverheiratet schwanger
geworden war und mich dann weggegeben hatte. »Das war keine Sünde...«
    Sie warf den Kopf hin und her, jetzt
extrem erregt, und kniff die Augen zu. »Such«, murmelte sie.
    Dann sank sie wieder in die
Bewusstlosigkeit zurück und ließ mich hier sitzen, mit dem zerfransten Ende
eines Bandes, das bis vor meine Geburt

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