Gefaehrliche Tiefen
Stille hielt so lange an, dass sie schlieÃlich »Hallo?« hinzufügte.
»Ja«, antwortete die Frau. »Ich habe Ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter gehört.«
Und?
, hätte Sam am liebsten gebrüllt.
Wieso haben Sie mich nicht zurückgerufen?
Sie biss sich auf die Zunge und sagte möglichst freundlich: »Dann verstehen Sie ja, warum ich Ihre Hilfe brauche.«
»Was haben Sie mit der Sache zu tun?«, fragte die Frau.
Sam kam sich vor, als würde sie wieder von der Polizei verhört. Himmel, das war das amerikanische Konsulat â waren die denn nicht dazu da, amerikanischen Bürgern zu helfen? Sie erklärte der Frau, für wen sie arbeitete und dass sie Berichte über die NPF -Studie auf den Galapagosinseln schrieb.
»Und zu welchem Zweck tun Sie das?«
Das wurde sie jetzt schon zum zweiten Mal gefragt. Sie zögerte, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, dass es eine richtige und eine falsche Antwort auf diese Frage gab. Dass sie das nur zum Geldverdienen machte, war vermutlich keine akzeptable Antwort. »Dr. Kazaki hatte den Auftrag, eine Studie über den Zustand der Umwelt in der Meeresschutzzone durchzuführen. Mein Auftrag war es, mit ihm zu tauchen und über die Erfahrungen zu schreiben.«
»Mit dem Ziel, die ecuadorianische Regierung zu kritisieren?«
»Natürlich nicht.« Zumindest nicht direkt. Aber wenn die Unterwasserstudie zeigte, dass die Umwelt nicht effektiv geschützt wurde, würde das sämtliche ecuadorianischen Behörden in ein schlechtes Licht setzen. Zu Recht.
»Sie wissen, dass Sie in Ecuador wegen der Teilnahme an einer Demonstration festgenommen werden können?«
Wie bitte?
Das hörte sie zum ersten Mal. »Es gab keine Demonstration.«
»Eine Protestkundgebung?«
Sam dachte an den kritischen Ton von Zings Artikel vom Vortag und an das Haivideo. »Nein. Dr. Kazaki hat Fische gezählt. Ich schreibe Artikel.« Sie würde sich dieser Frau nicht als Bloggerin preisgeben.
»Im Internet.«
Dieses Gespräch lief immer mehr aus dem Ruder. »Schauen Sie, Miss â¦Â«
»Campo.«
»Miss Campo, Artikel für das Internet zu schreiben ist mein Job. Und jetzt ist ein Mann â mein Freund und Expeditionspartner â unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen.«
»Die
fiscalia
sagt, er gilt als vermisst.«
»Glauben Sie mir, er ist tot.« Sam blinzelte, um das Bild von Dans leblosem Gesicht hinter der Taucherbrille zu vertreiben. »Finden Sie nicht, Sie sollten das untersuchen?«
»Wir werden die Situation im Auge behalten«, erwiderte Miss Campo. »Zögern Sie nicht, uns wieder anzurufen, falls Ihnen Ihr amerikanischer Konsul nochmals behilflich sein soll.« Mit diesen Worten legte sie auf.
Sam wünschte sich, sie hätte ein altmodisches Telefon mit Gabel, auf die sie den Telefonhörer hätte knallen können. So musste sie sich damit begnügen, den Knopf für die Gesprächsbeendigung so kräftig wie möglich zu drücken, was überhaupt nicht befriedigend war.
So viel also zur Hilfe von Seiten der Behörden. Ohne Pass würde sie wahrscheinlich in kein Flugzeug kommen. Aber selbst wenn sie ihren Pass hätte, würde sie heute vermutlich niemanden überreden können, sie zum Flughafen zu bringen.
Resigniert setzte sie sich hin und sah sich die Berichte im
Out There
an. Auf Zings neuen Artikel waren fast hundert Zuschriften eingegangen, eine Reihe davon in Spanisch. Rasch überflog sie die englischen Kommentare. Die Leser schienen sich in zwei Lager aufzuteilen: Das eine vertrat den Standpunkt, da würde sich nur wieder eine arrogante amerikanische Ãkotussi in die Angelegenheiten eines fremden Staates einmischen. Das andere pries Zing als Kämpferin für die Umwelt.
Als Nächstes rief Sam ihre private E-Mail-Adresse auf. Keine Nachricht von Chase, also begnügte sie sich damit, den übersetzten Anhang seiner Mail vom Vortag zu lesen. Laut dem Artikel aus Quito war der lateinamerikanischen Presse durchaus bekannt, dass an der gesamten Westküste Südamerikas illegal gefischt wurde und dass dieser Fang überwiegend für den asiatischen Markt bestimmt war. Der andere Artikel stammte aus einer in Puerto Baquerizo Moreno ansässigen Zeitung. Sein Verfasser vertrat die Ansicht, die Bewohner der Galapagosinseln hätten das Recht, überall zu fischen und das Land zu
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