Gefährliche Trauer
schneiden.
Beatrice kapitulierte; sie hatte keine Kraft mehr für Täuschungsmanöver. Ihre Angst durchströmte den Raum wie die statische Aufladung vor einem Gewitter. Starr, mit ziellosem Blick und verkrampften Händen saß sie auf ihrem Stuhl.
»Martha Rivett hat behauptet, Myles hätte sie vergewaltigt«, sagte sie tonlos. »Deshalb ist sie gegangen. Dein Vater hat sie entlassen. Sie war…« Doch an der Stelle brach Beatrice ab. Marthas Schwangerschaft zu erwähnen, war sinnlose Qual. Araminta hatte nie ein Kind zur Welt gebracht. Monk war so sicher, was sie hatte sagen wollen, als ob sie es tatsächlich getan hätte. »Sie war nicht mehr zurechnungsfähig«, schloß sie lahm.
»Wir konnten sie nicht bei uns behalten, nachdem sie solche Dinge verbreitet hatte.«
»Ich verstehe.« Auf Aramintas aschfahlen Wangen bildeten sich zwei rote Flecke.
Die Tür öffnete sich zum zweitenmal, und Romola kam herein. Mit einem einzigen Blick erfaßte sie das lebende Standbild: Beatrice, die kerzengerade und wie angewachsen auf ihrem Stuhl saß; Araminta, steif wie ein Zinnsoldat, das Gesicht angespannt, die Zähne zusammengepreßt; Hester, immer noch hinter dem hohen Lehnstuhl, unschlüssig, was zu tun war; Monk, der sich in unbequemer Sitzhaltung leicht vorbeugte. Sie betrachtete kurz den Speisezettel in Aramintas Hand und vergaß ihn gleich wieder. Sogar sie merkte, daß sie in eine brenzlige Situation gestolpert war und das Dinner jetzt kaum eine Rolle spielte.
»Stimmt was nicht?« fragte sie, während ihr Blick von einem zum andern glitt. »Wißt ihr, wer Octavia umgebracht hat?«
»Nein, wir wissen es nicht!« Beatrices Ton war erstaunlich scharf. »Wir sprachen über das Stubenmädchen, das vor zwei Jahren entlassen wurde.«
»Wozu?« Romola klang ziemlich ungläubig. »Das kann doch jetzt nicht wichtig sein.«
»Wahrscheinlich nicht«, bestätigte Beatrice.
»Warum verschwendet ihr dann Zeit mit diesem Thema?« Sie kam näher, ließ sich auf einem der kleineren Stühle nieder und begann geziert, ihre Röcke zu ordnen. »Ihr seht aus, als ob etwas Schreckliches passiert wäre. Ist ihr etwas zugestoßen?«
»Ich habe keine Ahnung«, fuhr Beatrice, die langsam die Beherrschung verlor, sie unfreundlich an. »Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen.«
»Wie kommt ihr darauf?« Romola war verwirrt und verängstigt; sie war überfordert. »Hast du ihr kein Zeugnis ausgestellt? Warum ist sie eigentlich entlassen worden?« Mit verständnislos hochgezogenen Brauen schaute sie zu Araminta hinüber.
»Nein, ich habe ihr kein Zeugnis ausgestellt«, erklärte Beatrice matt.
»Und wieso nicht?« Romolas Blick flog erneut zu Araminta und wieder zurück zu ihrer Schwiegermutter. »Hat sie gelogen? Hat sie etwas gestohlen? Mir hat keiner was gesagt!«
»Es ging dich nichts an«, versetzte Araminta brüsk.
»Wenn sie eine Diebin war, schon! Sie hätte schließlich auch Sachen von mir stehlen können!«
»Das ist unwahrscheinlich. Sie behauptete, vergewaltigt worden zu sein!« Araminta funkelte ihre Schwägerin wütend an.
»Vergewaltigt?« Romolas Gesichtsausdruck wechselte von Furcht zu Unglauben. »Du meinst - vergewaltigt? Gütiger Gott!« Sie wurde von einem grenzenlosen Gefühl der Erleichterung erfaßt; die Farbe kehrte in ihre wunderschöne Haut zurück. »Nun ja, wenn sie eine lockere Moral hatte, mußtet ihr sie natürlich entlassen. Niemand hätte etwas dagegen einzuwenden. Ich nehme an, sie ist auf der Straße gelandet; das ist bei solchen Frauen nun mal so. Warum in aller Welt zerbrecht ihr euch darüber den Kopf? Es läßt sich nicht mehr ändern - und hätte wahrscheinlich auch nicht verhindert werden können.«
Hester konnte sich nicht länger beherrschen.
»Sie wurde vergewaltigt, Mrs. Moidore - brutal von einem Menschen mißbraucht, der größer und stärker ist als sie. Das hat nichts mit unmoralischem Verhalten zu tun. Das kann jeder Frau passieren.«
Romola starrte sie an, als ob ihr plötzlich Hörner gewachsen wären. »Natürlich liegt das an unmoralischem Verhalten! Anständige Frauen werden nicht geschändet, sie setzen sich dem nicht aus - sie fordern es nicht heraus! - und halten sich nicht in dubioser Begleitung an dubiosen Orten auf. Ich möchte nicht wissen, in welchen Gesellschaftskreisen Sie sich bewegen, daß Sie auf derart abwegige Gedanken kommen.« Sie schüttelte mißbilligend den Kopf. »Ich fürchte, Ihre Erfahrungen als Krankenschwester haben Sie für alle zarteren
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