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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sache. Wir können nicht rumlaufen und Leute wie Sir Basil Moidore und seine Familie beschuldigen. Großer Gott, wo bleibt Ihr Verstand?«
    Monk musterte ihn verächtlich.
    »Genau aus diesem Grund beschuldige ich niemanden, Sir«, sagte er kalt. »Myles Kellard fühlte sich offensichtlich stark zu seiner Schwägerin hingezogen, was seiner Frau nicht verborgen geblieben ist.«
    »Das ist kein Grund, sie zu töten«, fiel Runcorn ihm ins Wort.
    »Dann hätte er doch eher seine Frau getötet. Können Sie nicht mehr klar denken, Monk?«
    Monk verkniff sich, ihm von Martha Rivett zu erzählen. Erst wollte er das Mädchen finden, um ihre Version zu hören und sich ein Bild machen zu können.
    »Falls er sich ihr unsittlich genähert und sie sich zur Wehr gesetzt hat, kann es zu einem Kampf gekommen sein, in dessen Verlauf sie erstochen wurde.«
    »Mit einem Tranchiermesser?« Runcorns Brauen schossen in die Höhe. »Das sie zufällig unter der Bettdecke hatte?«
    »Ich glaube nicht, daß es Zufall war. Wenn sie einen Anlaß hatte, mit seinem Erscheinen zu rechnen, hat sie es absichtlich mitgenommen.«
    Runcorn grunzte etwas Unverständliches.
    »Es könnte auch Mrs. Kellard gewesen sein«, fuhr Monk fort.
    »Sie hatte allen Grund, ihre Schwester zu hassen.«
    »Muß ziemlich lockere Moralvorstellungen gehabt haben, diese Mrs. Haslett«, bemerkte Runcorn abfällig. »Erst der Lakai, jetzt der Mann ihrer Schwester.«
    »Es gibt keinen Beweis dafür, daß sie den Lakai ermutigt hat«, sagte Monk aufgebracht. »Und Kellard ganz bestimmt nicht. Falls Sie es nicht für unmoralisch halten, schön zu sein, wüßte ich nicht, wie Sie ihr irgendein Verschulden nachweisen könnten.«
    »Sie hatten schon immer eine eigenartige Auffassung von Recht und Unrecht.« Runcorn war hochgradig mißgestimmt und sehr durcheinander. Die häßlichen Schlagzeilen in der Presse beeinflußten die öffentliche Meinung. Die Briefe vom Innenministerium, steif und blütenweiß auf seinem Schreibtisch, klangen höflich, aber kalt und wiesen ihn mit warnendem Unterton daraufhin, daß man wenig Verständnis hätte, wenn der Fall nicht rasch und zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst werden würde.
    »Stehen Sie hier nicht tatenlos rum«, sagte er zu Monk.
    »Machen Sie sich auf die Socken und finden Sie heraus, welcher von Ihren Verdächtigen schuldig ist. Mein Gott, es sind doch bloß fünf einer muß es sein! Mrs. Kellard können Sie ausklammern. Die beiden hatten vielleicht Streit, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie ihre Schwester in finsterer Nacht erstochen hat. Dazu müßte sie ziemlich kaltblütig sein, außerdem konnte sie nicht erwarten, damit davonzukommen.«
    »Sie wußte ja nicht, daß Chinesen-Paddy auf der Straße herumlungerte.«
    »Wie? Ach so - ja, genausowenig wie der Lakai. Ich würde mich nach einem Mann umsehen… Oder die Wäschemagd; das wäre vermutlich auch eine Lösung. Wie auch immer, machen Sie endlich weiter. Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht hier vor meinem Kamin mit schönen Worten!«
    »Sie waren es, der nach mir geschickt hat.«
    »Stimmt, und jetzt schicke ich Sie wieder weg. Machen Sie die Tür hinter sich zu - es ist kalt draußen im Flur.«
    Die nächsten zweieinhalb Tage verbrachte Monk damit, Londons Armenhäuser abzuklappern. Er legte endlose Kutschpartien durch enge Gassen zurück, über Kilometer von Kopfsteinpflaster, das im Widerschein des Gaslichts oder regennaß glänzte, allzeit begleitet von dem Geratter hölzerner Karren, dem Quietschen von Rädern, dem Getrappel von Hufen auf dem holprigen Pflaster. Sein erstes Ziel war das östlich der Queen Anne Street gelegene Clerkenwell-Armenhaus in der Farringdon Road, das nächste das Holborn-Armenhaus in der Grey's Inn Road. Am zweiten Tag schlug er sich nach Westen und versuchte sein Glück zuerst im St. George's-Armenhaus in der Mount Street, dann im St. Marylebone-Armenhaus in der Northumberland Street. Als er am dritten Morgen schließlich vor dem Westminster-Armenhaus in der Poland Street stand, verließ ihn allmählich der Mut. Noch nie hatte ihn ein Ort derart nachhaltig deprimiert. Der bloße Name des Gebäudes rief ein tief sitzendes Gefühl der Angst in ihm wach, und während sein Blick an den glatten, graubraunen Wänden hochwanderte, die düster in den Himmel ragten, hatte er plötzlich das Gefühl, daß sich das hinter diesen Mauern begrabene Elend einen Weg in sein Innerstes gebahnt hatte. Er empfand eine Kälte, die nicht das geringste mit dem

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