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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wie betäubt war. Er saß an einem auf Hochglanz polierten Eßtisch in einem Raum voll hübscher Möbel; die Spiegelrahmen waren vergoldet, in einer Ecke stand eine Blumenvase. Er spürte denselben ohnmächtigen Schmerz wie heute, das gleiche Schuldbewußtsein, weil er nicht helfen konnte. Es war das Heim seines Mentors, des Mannes, den er am Piccadilly vor Cyprians Klub gesehen hatte. Nach einem finanziellen Desaster stand er vor dem totalen Ruin.
    Die Frau mit dem häßlichen, tränenüberströmten Gesicht, die bei der Beerdigungsprozession in der hintersten Kutsche gesessen hatte - sie hatte ihn an die Frau dieses Mentors erinnert, an die Frau mit den unbeschreiblich schönen Händen. Ihr hatte er damals helfen wollen und es nicht gekonnt, und so hatte die Tragödie ungehindert ihren Lauf genommen und jede Menge unschuldige Opfer zurückgelassen.
    Aus diesem Gefühl völliger Ohnmacht heraus hatte er an jenem anderen Tisch zum erstenmal den Entschluß gefaßt, sich Mittel und Wege zu öffnen, das Unrecht zu bekämpfen, die finsteren Machenschaften aufzudecken, die scheinbar so unantastbar waren. Er hatte sich aus dem Handelsgeschäft zurückgezogen - samt seinen vielversprechenden Profitchancen - und war zur Polizei gegangen.
    Zur Polizei! Arrogant war er gewesen, talentiert und brillant, extrem unbeliebt - und in unglaublich kurzer Zeit sehr weit aufgestiegen. Und nun war nichts mehr von all dem übrig, nicht einmal eine Erinnerung an seine ursprünglichen Fähigkeiten.
    »Er hat was?« fragte Hester verständnislos. Sie stand mit Evan in Mrs. Willis' Wohnzimmer. Angesichts dieser überraschenden Neuigkeit verlor sie fast den Boden unter den Füßen. »Was haben Sie gesagt?«
    »Er hat sich geweigert, Percival zu verhaften, und Runcorn an den Kopf geworfen, was er von ihm hält«, erklärte Evan noch einmal. »Mit dem Ergebnis natürlich, daß Runcorn ihn rausgeschmissen hat.«
    »Mein Gott, und was hat er jetzt vor?« Sie war entsetzt. Zukunftsangst und Hilflosigkeit waren ihr selbst noch zu bekannt, als daß sie ihre Fantasie hätte großartig anstrengen müssen, zudem war die Stellung in der Queen Anne Street nur vorübergehend. Beatrice fehlte im Grunde nichts, und jetzt, wo Percival verhaftet war, würde sie sich vermutlich binnen weniger Tage völlig erholt haben - vorausgesetzt, sie glaubte an seine Schuld. »Kann er eine neue Anstellung finden? Hat er Familie?«
    Evan betrachtete erst den Fußboden, dann wieder sie.
    »Nicht hier in London, aber ich glaube auch nicht, daß er sich an sie wenden würde. Ich weiß nicht, was er jetzt tun wird«, sagte er unglücklich. »Der Polizeijob ist alles, was er kann, wahrscheinlich auch alles, was ihm etwas bedeutet. Er hat eine natürliche Begabung dafür.«
    »Hat denn außer der Polizei niemand Bedarf an guten Detektiven?«
    Evan lächelte in plötzlich aufkeimender Hoffnung, die gleich wieder verflog. »Wenn er seine Fähigkeiten privat anbieten würde, brauchte er finanziellen Rückhalt, bis er sich einen Namen gemacht hat - sonst ist es kaum zu schaffen.«
    »Wahrscheinlich.« Hester war noch nicht in der Lage, vernünftig darüber nachzudenken. »Was können wir inzwischen wegen Percival unternehmen?«
    »Könnten Sie sich vielleicht irgendwo mit Monk treffen, um das zu besprechen? Hier kann er sich nicht mehr blicken lassen. Würde Lady Moidore Ihnen den Nachmittag freigeben?«
    »Ich hatte bisher überhaupt noch nicht frei, also ist sie wahrscheinlich einverstanden. Was schlagen Sie als Treffpunkt vor?«
    »Draußen ist es kalt.« Er spähte aus dem schmalen Fenster auf ein schmales Rasenquadrat mit zwei Rhododendronbüschen.
    »Wie wär's mit dem Kaffeehaus in der Regent Street?«
    »Gute Idee. Ich werde Lady Moidore sofort fragen.«
    »Was wollen Sie ihr sagen?« fragte er rasch.
    »Ich werde lügen«, erwiderte sie wie aus der Pistole geschossen. »Ich werde ihr erzählen, es hätte einen Notfall in der Familie gegeben, und ich müßte mit den anderen dringend ein paar Dinge besprechen.« Sie verzog das Gesicht zu einer harten, ironischen Grimasse. »Sie müßte eigentlich am besten wissen, was ein Notfall in der Familie bedeuten kann!«
    »Ein Notfall in der Familie!« Beatrice, die in den Anblick des tristen Herbsthimmels versunken am Fenster gestanden hatte, wandte sich abrupt um. Sie sah Hester konsterniert an. »Wie bedauerlich - hoffentlich nichts Schlimmes. Ist jemand krank? Ich könnte Ihnen einen Arzt empfehlen, falls Sie noch keinen haben, aber

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