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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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denke ich, jemand schreibt einen ganzen Stapel solcher Artikel und schickt jedesmal einen los, wenn ihm die Ereignisse einen Grund dafür liefern. Was noch? Wurde nirgends spekuliert, ob Percival schuldig ist oder nicht?«
    Wieder fiel ihm auf, wie jung Evan aussah. Er war zwar ein Mann, doch momentan schlug eindeutig der Junge in ihm durch.
    »Mir ist jedenfalls nichts ins Auge gestochen - anscheinend will ihn jeder hängen sehen«, sagte er traurig. »Es herrscht allgemeine Erleichterung, die Leute sind glücklich, daß der Fall abgeschlossen und die Geschichte endlich erledigt ist. Die Straßensänger haben schon Lieder drüber geschrieben und versuchen sie in der Tottenham Court Road an den Mann zu bringen. Klingt ziemlich gespenstisch, das Ganze, hat mit der Wahrheit, wie wir sie gesehen - beziehungsweise vermutet - haben, nicht viel zu tun. Sie fordern, daß man Schwerverbrecher wieder zu Tode schleift und vierteilt. Blutdürstige Schweinehunde!«
    »Sie haben Angst«, bemerkte Monk ohne Mitgefühl. »Angst ist eine schlimme Sache, läßt einen gräßliche Dinge tun.«
    Evan runzelte die Stirn. »Glauben Sie, das war es, was die Menschen in der Queen Anne Street getrieben hat? So große Angst, daß ihnen jeder als Sündenbock recht war, Hauptsache, sie waren uns endlich los und mußten am Ende nicht mehr übereinander herausfinden, als ihnen lieb war?«
    Monk beugte sich vor, schob die Teller beiseite und stützte müde die Ellbogen auf.
    »Schon möglich.« Er seufzte deprimiert. »Gott wie hab ich das Ganze vermurkst! Das Schlimmste ist, daß Percival hängen wird. Er ist ein selbstverliebter, egoistischer Großkotz, aber dafür verdient er doch nicht den Tod! Und derjenige, dem er sein Schicksal zu verdanken hat, ist immer noch in diesem Haus und kommt ungestraft davon. So sehr sich die Moidores auch anstrengen, die Tatsachen zu ignorieren oder zu vergessen, wenigstens einer von ihnen muß eine Ahnung haben, wer der wahre Verantwortliche ist.« Er hob den Kopf. »Können Sie sich das vorstellen, Evan? Den Rest Ihres Lebens unter einem Dach mit einem Menschen, von dem Sie wissen, daß er einen Mord begangen hat und einen andern dafür baumeln ließ? Ihm auf der Treppe zu begegnen, ihm am Eßtisch gegenüberzusitzen, ihn lachen und Witze machen zu sehen, als ob das alles nie geschehen wäre?«
    »Was werden Sie jetzt tun?« Evan betrachtete ihn ratlos mit seinem intelligenten, mitfühlendem Blick.
    »Was, zur Hölle, kann ich schon tun?« explodierte Monk.
    »Runcorn hat Percival verhaften lassen und wird ihn vor Gericht bringen. Alles, was ich an Beweismaterial besaß, habe ich ihm gegeben; außerdem bin ich nicht nur den Fall los, man hat mich vom Dienst suspendiert! Verdammt - ich weiß nicht mal, ob ich noch lange ein Dach über dem Kopf haben werde. Ich bin der letzte, der Percival helfen könnte - ich stehe ja selbst auf dem Schlauch!«
    »Sie sind der einzige, der ihm helfen kann«, sagte Evan ruhig. Er war freundlich und verständnisvoll, hatte jedoch nicht vor, einem von ihnen etwas vorzumachen. »Ausgenommen Miss Latterly vielleicht«, fügte er plötzlich hinzu. »Außer uns käme sowieso keiner auf die Idee.« Er entwirrte seine langen Beine und stemmte sich aus dem Stuhl. »Ich fahr jetzt zu ihr, sie sollte Bescheid wissen. Das mit Percival wird sie wohl mitgekriegt haben, und die bloße Tatsache, daß Tarrant aufgekreuzt ist und nicht Sie, hat ihr bestimmt zu denken gegeben, aber sie wird sich trotzdem wundern.« Er verzog den Mund zu einem freudlosen Grinsen. »Oder kennt sie Sie so gut, um zu ahnen, daß Ihnen bei Runcorn der Kragen geplatzt ist?«
    Monk wollte den Gedanken im ersten Moment als lächerlich abtun, erinnerte sich jedoch an Hesters Zusammenstoß mit dem Krankenhausarzt und empfand unvermittelt ein warmes Gefühl von Zusammengehörigkeit, das die eisige Kälte in ihm etwas auflöste.
    »Möglich wär's«, räumte er ein.
    »Ich fahr sofort in die Queen Anne Street und sag's ihr.« Evan strich mit der ihm eigenen Eleganz über sein Jackett.
    »Bevor sie mir den Fall auch noch wegnehmen und ich keinen Grund mehr hab, dort aufzutauchen.« Monk sah ihn an. »Danke, Evan.«
    Evan salutierte kurz, was eher todesmutig als optimistisch wirkte, und ließ Monk mit den Ruinen seines Frühstücks allein.
    Der starrte noch eine Weile auf die Tischplatte, in Grübeleien über sein weiteres Schicksal versunken. Plötzlich, aus heiterem Himmel, überkam ihn eine derart starke Erinnerung, daß er

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