Gefährliche Trauer
ich, und ich weiß es von Mary.«
Sie betrachtete ihre Hände. »Romola glaubt jedenfalls felsenfest daran. Sie ist schrecklich erleichtert, wissen Sie - sie denkt, jetzt ist der Spuk vorbei. Anfangs hielt sie Septimus für den Schuldigen. Stellen Sie sich das einmal vor: Sie nahm an, Tavie hätte etwas über ihn herausgefunden! Das ist lächerlich. Sie kannte seine Geschichte von vorne bis hinten!« Sie strengte sich vergeblich an, den Gedanken lustig zu finden. »Und jetzt bildet sie sich ein, wir vergessen einfach alles und kehren zum alten Trott zurück. Als ob sich nichts geändert hätte, außer daß Tavie nicht mehr da ist. Manchmal glaube ich, Romola ist die dümmste Person, die mir je begegnet ist.«
»Das Leben wird nie wieder dasselbe sein«, bestätigte Hester, die sie trösten, aber auch jede Spur verfolgen wollte, die möglicherweise zur Wahrheit führte. »Nach einer gewissen Zeit kann man wenigstens vergeben, und dann gerät manches tatsächlich in Vergessenheit.«
»Ist das so?« Beatrices Blick galt nicht ihr, sondern wieder dem Fenster. »Wird Minta jemals vergessen, daß Myles dieses unglückliche Mädchen vergewaltigt hat? Was immer das ist, eine Vergewaltigung. Können Sie es mir sagen, Hester? Tut man im Rahmen der Ehe seine Pflicht, ist es recht und billig; alles andere wäre sogar verdammenswert. Warum wird es außerhalb der Ehe als etwas anderes betrachtet, daß es dort als scheußliches Verbrechen gilt?«
»Tut es das denn?« Hester ließ wenigstens einen Teil ihrer Wut nach außen dringen. »Mir scheint, es haben sich nur sehr wenige über Mr. Kellards Tat aufgeregt. Offenbar machte man ihr sogar einen größeren Vorwurf daraus, darüber gesprochen, als ihm, es getan zu haben. Es hängt immer davon ab, wer betroffen ist.«
»Da haben Sie vermutlich recht, aber das hilft Ihnen nur wenig, wenn es sich um Ihren Ehemann handelt. Ich sehe Minta an, wie weh es tut. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, spüre ich den ganzen Schmerz hinter ihrer bewundernswerten Haltung.« Beatrice wandte sich stirnrunzelnd ab. Hester sollte nicht merken, wie sehr es sie selbst bedrückte. »Und zuweilen auch einen furchtbaren Zorn.«
»Aber Mr. Kellard ist nichts geschehen«, sagte Hester sehr sanft. Sie zweifelte keine Sekunde mehr daran, daß Percivals Verhaftung nicht der Auftakt zu einem Heilungsprozeß war, und wünschte, Beatrice helfen zu können. »Wenn Mrs. Kellard irgendwelche gewalttätigen Züge an ihm bemerkt hätte, hätte sie bestimmt versucht, dagegenzulenken. Es ist verständlich, daß sie böse auf ihn ist, aber der Schmerz wird im Lauf der Zeit nachlassen. Ich glaube sogar, nach einer Weile denkt sie gar nicht mehr daran.« Sie hätte fast hinzugefügt, wenn Myles Kellard sich seiner Frau gegenüber zärtlich und verständnisvoll zeigen würde, wäre der Rest nicht mehr wichtig für sie. Diese trügerische Hoffnung laut auszusprechen würde Beatrices Kummer vermutlich nur vergrößern. Sie mußte Kellard schließlich genausogut kennen wie Hester, die erst vor kurzem mit ihm Bekanntschaft gemacht hatte.
»Ja«, sagte Beatrice ohne Überzeugung. »Natürlich, so wird es sein. Und bitte, nehmen Sie sich heute nachmittag soviel Zeit, wie Sie brauchen.«
»Vielen Dank, Lady Moidore.«
Als Hester gerade gehen wollte, schneite Sir Basil herein. Offenbar hatte er nur flüchtig geklopft, daß es keiner von ihnen aufgefallen war. Er marschierte wie üblich an Hester vorbei, ohne Notiz von ihr zu nehmen, den Blick unverwandt auf seine Frau gerichtet.
»Ausgezeichnet«, stellte er energisch fest. »Wie ich sehe, hast du dich heute angezogen. Kein Wunder, du fühlst dich bestimmt sehr viel besser.«
»Nein, ich…« begann Beatrice, doch er fiel ihr gnadenlos ins Wort.
»Aber natürlich tust du das.« Er schenkte ihr ein geschäftsmäßiges Lächeln. »Nun, meine Liebe, ich bin froh darüber. Diese furchtbare Tragödie hat deine Gesundheit angegriffen, aber das Gröbste ist überstanden, und du wirst dich zusehends erholen.«
»Überstanden?« Sie starrte ihn ungläubig an. »Denkst du wirklich, es ist überstanden, Basil?«
»Was denn sonst.« Ohne sie anzusehen, begann er im Zimmer umherzugehen. Er vertiefte sich zunächst in den Anblick der Frisierkommode, rückte dann eins der Bilder zurecht. »Es wird selbstverständlich zu einer Gerichtsverhandlung kommen, aber du brauchst nicht hinzugehen.«
»Ich möchte es aber!«
»Schön - wenn es dir dabei hilft, die Angelegenheit als
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